Keine Zeit, keine Zeit

For All Intents and Purposes… I’m Somebody, SOMEBODY! vom Kollektiv RAYNE&CEREMONY feierte am 22.01. im Rahmen des Festivals Tanztage 2025 Premiere in der Kantine der Sophiensæle.

Ein langer Raum. In der Mitte eine kleine Bühne und zwei Performer, RAYNE und Pussy Ranz. Um die Bühne sind digitale Uhren aufgestellt. Die eine läuft konstant und zählt die Minuten. Die andere stoppt und piept, sobald 60 Sekunden vorbei sind. Mit jedem Piepen ertönt ein Gong, und die zwei Performer reißen sich von zwei kleinen Rollen Zettel ab und lesen darauf stehende Aufgaben vor. Dann bleiben ihnen jeweils 60 Sekunden, um die Aufgaben zu erfüllen: Wasser trinken, wie Butter schmelzen, vor dem Publikum anzugeben oder sich zu entschuldigen. Sie verformen und verbiegen sich unter Zeitdruck und im Minutentakt. Warum und für wen wird sich eigentlich verbogen? Die Zeit für diese Gedanken scheint zu fehlen, genauso wie die Zeit für ehrliche Interaktion zwischen den beiden. Immer wieder reißen Sie neue Zettel ab, die Aufgaben wiederholen sich und selbst die Pausen, die von den Zetteln vorgeben werden, sind keine Momente der Ruhe.

Nach einer halben Stunde scheint die Zeit abgelaufen zu sein. Es werden keine Zettel mehr abgerissen, das Licht wird gedimmt, die Musik wird sphärischer. Ruhe. Es wirkt, als hätten die beiden Performer zum ersten Mal wirklich Zeit, den Raum wahrzunehmen. Sie bewegen sich rückwärts und vorwärts, gehend und auf allen Vieren durch den Raum, um die oder unter der kleinen Bühne hindurch. Ihre Körper sind nicht mehr im Stress des Minutentakts. Sie haben Zeit zu atmen. Und plötzlich werden die Bewegungen besonders von RAYNE sanfter und geschmeidiger. Er tanzt. Während Pussy Ranz durch den Raum geht und mit einem Aufnahmegerät einzelne Personen des Publikums interviewt. Worum es geht, wissen nur Pussy Ranz und die interviewte Person.

Danach wieder Ruhe. Es wird eine Geschichte vom Aufnahmegerät abgespielt. Es soll um eine peinliche, unangenehme Geschichte gehen. Und die Geschichte ist peinlich und unangenehm. Und doch, und das schafft die Performance immer wieder, sorgt sie für Lacher. Lacher, die die Spannung aus dem Gesagten herausnehmen. Das habe sie gerade nicht gesagt? Doch haben sie! Dürfen sie? Klar, es geht um den eigenen Körper, das eigene Sein. Um vielleicht doch mit einem Lachen eine Art von Akzeptanz für die eigene Geschichte, das eigene Sein zu schaffen.

Und dann? Wieder Stress. Wieder wird im Takt aufeinander zugerannt und voneinander wegerannt. Pussy Ranz produziert Klänge. RAYNE tanzt. Und dann rennen sie aufeinander zu und in der Basis-Accroyoga-Pose erzählt Pussy Ranz aus seiner Kindheit und Jugend – erzählt vom Jüdischsein, vom Transsein und von der eigenen Mutter. Es geht um Traumata und um Scham. Nichts lässt sich greifen und wirklich nachvollziehen. Für das Publikum bleiben es Fragmente. Fragmente, die durch die Bewegung, die die beiden im Raum produzieren, zwischen Spannung und Entspannung, zwischen Stress und Lachen erzählt werden.     Und dann zeigt eine der Uhren die sechzigste Minute an. Die Performance ist vorbei. Es bleibt das Gefühl, dass es gar keine Zeit gibt, sich mit Traumata, Scham, dem eigenen Körper und Sein auseinandersetzen. Immer wieder werden Themen auf der Bühne angerissen, um dann gleich vom nächsten abgelöst zu werden. Es wird geklatscht. Es werden Blumen überreicht. Und es wird nach Hause gegangen. Keine Zeit für Rückfragen.

Perspektiven auf Körper

Der Double Bill WET HOT WOMBS – Bathing into other Bodies von Tentacular Figurings und Super Superficial von Kysy Fischer ist ein einprägsamer Start in die Tanztage 2025. Das Festival findet vom 9. bis 25. Januar in den Sophiensælen statt.

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Der Double Bill WET HOT WOMBS – Bathing into other Bodies von Tentacular Figurings und Super Superficial von Kysy Fischer ist ein einprägsamer Start in die Tanztage 2025. Das Festival findet vom 9. bis 25. Januar in den Sophiensælen statt.

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Atemlos durch die Nacht?

Unter dem Titel What survives the night? – Wir heizen die Zukunft auf und löffeln die Suppe der Gegenwart aus! trafen sich am 13. und 14. Dezember 2024 ca. 80 Akteur*innen der freien Tanz- und Performanceszene Deutschlands im Heizhaus. Die zentrale Frage der Veranstaltung: „Sind wir schon im Überlebensmodus oder was sind die Fragen, die wir teilen wollen, um im Handeln zu bleiben?“

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Wer hat Anspruch?

Frozen Power, eine Produktion des tansanischen Künstlers Ian Mwaisunga, thematisiert die Machtkämpfe des heutigen Tansanias während der deutschen Kolonialherrschaft. Die Premiere fand am 5. Dezember 2024 im Humboldt Forum in Berlin statt, wo das Stück bis zum 8. Dezember zu sehen war.

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So Berlin!

A Techno Ballet Odyssey ist vom 5. bis 8. Dezember 2024 im Kraftwerk Berlin zu sehen und erfahren. Die Berlin Ballet Company re-inszeniert die Geschichte des Odysseus im Berliner Club Kontext. Die Aufführung ist nur ein Teil des immersiven Events.

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pro re nata

Ania Nowaks Obelix Nutrix meditiert über die Geschichte und Gegenwart von Pflege als künstlerischem und wissenschaftlichem Akt der Fürsorge. Ihre Produktion feierte im Salzburger Kunstverein Premiere und war vom 29. bis 31. November 2024 in den Sophiensælen zu sehen.

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Eine Mikroutopie

Fields of Tender, ein immersives, langsam-langes Tanzstück für neurodivergente Kinder und Kinder mit Behinderungen im Alter von sechs Monaten bis zehn Jahren, feierte am 13. und 14. Oktober im Rahmen von FRATZ International 2024 im English Theater Berlin Deutschlandpremiere. Nach einer Vorstellung für fünf- bis zehnjährige Besuchende sprach Inky Lee mit der Choreografin Dalija Acin Thelander.

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Luftschloss

Entspannend, aber spannungslos und alles andere als ein körpergewordener Traum: Alessandro Sciarronis publikumsoffener fünfstündiger DREAM (2022) bei Tanz im August am 24. und 25. August in der St. Elisabeth Kirche. 
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Sicher bei dir

A Night’s Game, eine Choreografie und Performance der von den Zwillingen Kristina und Sadé Alleyne gegründeten britischen Compagnie Alleyne Dance, feierte am 23. und 24. Juli 2024 im Rahmen von b12 im DOCK 11 Premiere.
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Ausatmen

Am 18. Juni zeigten die TANZKOMPLIZEN im Podewil in einer Preview die witzige, pädagogische und kreative Tanzinszenierung In der Luft von Tatiana Mejía und Kareth Schaffer. Die Premiere des Stücks findet am 27. September statt. Es handelt von der Mischung diverser Gase und Staubpartikel um uns herum, die wir Luft nennen, und richtet sich an Zuschauende ab sechs Jahren.
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Trister Sommer

HUNDSTAGE von Enad Marouf feierte am 13. Juni in den Sophiensälen Premiere. Vorstellungen folgten vom 14. bis 16. Juni. Die Produktion ist inspiriert von der antiken griechisch-römischen Idee, dass die extreme Sommerhitze der „Hundstage“ Unglück und Unruhe mit sich bringe.

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JA!

Das Stück Yebo Yes! von Tänzer*innen der Kompanie Afia feiert seine Deutschlandpremiere am 24. Mai 2024 in der fabrik Potsdam als Teil der Potsdamer Tanztage. Es berührt gleichermaßen, wie es zum Nachdenken anregt.
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Aufstand der Löffel gegen das System. Oder: Chapeau! So kann intersektional gedachte Inklusion im Theater funktionieren

Die Stand Up-Comedy Baby I’m Sick Tonight ist eine Show zum Lachen und zum Heulen. Vor der Premiere (25.04.2024, Sophiensaele) sprach ich mit der Choreografin Olivia Hyunsin Kim über chronische Erkrankung und die Missstände im Umgang mit ihr.
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Bist du verloren?

Im April 2024 feierte Chaos Kompass Premiere im Theater an der Parkaue. Die vom Ensemble unter der künstlerischen Leitung von  Bahar Meriç komponierte Produktion mit elf Performenden zwischen 16 und 27 Jahren wird noch zwei weitere Male im Juni 2024 zu sehen sein.
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„I gave Birth to a Hawk“. Oder: Von den nicht enden wollenden Wehen

Mit New Report On Giving Birth (6.+7.3.2024, HAU Hebbel am Ufer (HAU2)) baut die chinesische Choreografin und Tänzerin Wen Hui auf ihren vor 20 Jahren präsentierten Report On Giving Birth auf. Gemeinsam mit drei weiteren Tänzerinnen zieht sie Bilanz: Was hat sich inzwischen für gebärfähige Körper verändert, was nicht?
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Die Anziehungskraft des Anderswo oder Ein Ort der Gegensätze

Die Performancereihe Fold (Tanzfabrik) zeigt ElseWhere Rhapsody vom 29. Februar bis 3. März 2024 in den Uferstudios. Performance-Macher*in Jen Rosenblit nimmt das Publikum mit auf eine eklektische Untersuchungsreise queeren Begehrens. Durch Poesie, Gesang, Erotik, Linedance und Utopie entsteht eine Collage, irgendwo zwischen zarter Intimität und reizüberflutendem Spektakel.
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