„K L O F. cyberographies of folk“, Irina Demina ©Philipp Weinrich

Wenn die Maschine tanzen lernt: von Daten zu Bewegungen

In “K L O F. cyberographies of folk” nutzt Choreografin Irina Demina künstliche Intelligenz für die Entwicklung eines neuartigen Volkstanzes: ein Versuch, den gegenwärtigen, digitalisierten Alltag zu reflektieren. Die Wiederaufnahme ist noch bis zum 7. Mai 2023 im DOCK 11 zu sehen.

Ein gemeinsames Klatschen im Dreivierteltakt, begonnen von Irina Demina und übernommen vom Publikum, etabliert einen Rhythmus, der durch Sounddesigner Michelangelo Contini am Schlagzeug weiterentwickelt wird. Dazu erscheint auf der hinteren Bühnenwand eine Videoprojektion. Sie zeigt ungefähr dreißig zitternd tanzende Strichfiguren, die unterschiedliche, schwer greifbare Bewegungsmuster ausführen. Die Tänzerin Viktória Kőhalmi beginnt, dem Publikum den Rücken zugewandt, einen Tanz, der sowohl vertraut als auch fremdartig wirkt. Sie geht wiederholt tief in die Knie und springt wieder auf. Auch die offene Haltung der Arme und ein mehrfach auftauchender geflexter Fuß erinnern mich an sämtliche Volkstänze aus unterschiedlichen, vor allem europäischen Regionen. 

Die Tanzsequenz, die mehrmals von Neuem beginnt, enthält jedoch auch etwas Counterintuitives, fast Roboterartiges. Es gibt gefühlt wahllose Armzuckungen und plötzliche Richtungswechsel, die aber bei jeder Wiederholung der Phrase gleich bleiben. Diese fremdartige Qualität ähnelt den zuckenden Strichfiguren, die noch immer über die Wand taumeln. Als diese von der Videoprojektion verschwinden, lehnt die Tänzerin ihren Körper an die Wand, als würde sie Halt suchen. Zum ersten Mal zeigt sie dem Publikum ihr Gesicht, ihre eindeutige Menschlichkeit. Doch ihre Bewegungen werden abgehackter. Sie windet sich über den Boden, als würde sie versuchen, die Welt auf den Kopf zu stellen. Sie balanciert auf ihren Schultern, die Beine in die Luft gestreckt oder faltet ihren Körper kompakt zusammen. Auf einem Vorhang aus weißen Fäden erscheint nun eine weitere zitternde Strichfigur, die sich immer dann bewegt, wenn Kőhalmi ihre Position ändert. Bald wird deutlich, dass die Bewegungen der Tänzerin durch eine Art Motion Capture Programm auf die Strichfigur übertragen werden. Doch das Programm kann teilweise nicht erfassen, wo oben und unten ist. Dies wird besonders wahrnehmbar, als die Tanzsequenz vom Anfang, diesmal als Duett zwischen Kőhalmi und der Strichfigur, erneut auftaucht. Manchmal gibt das Computermodell die Positionen der Tänzerin präzise wieder, manchmal liegt die Interpretation komplett daneben. 

Der Tanz, der hier Cyberografie genannt wird, entstand aus einer Zusammenarbeit von Irina Demina und einer künstlichen Intelligenz (KI). Die KI wurde mit Videoaufnahmen von mehreren Volkstänzen aus unterschiedlichen Regionen trainiert, mit dem Ziel, neue synthetische Volkstänze zu choreografieren. Eine der dreißig Cyberografien, die zu Beginn der Tanzperformance von einem Corps aus Strichfiguren getanzt wurden, interpretierte und wandelte Demina in menschliche Bewegungen um. “Es ist ein Hybrid. Es ist ein Spiel. Es ist ein Wunsch.” 

Die Schritte vieler Volkstänze entstammen typischen und alltäglichen Bewegungen bestimmter Berufsgruppen und/oder Gemeinden. Sei es das Wegklatschen von lästigen Fliegen oder das Pflücken von Äpfeln, Volkstänze sind mit dem Anspruch entstanden, die Lebensrealität zu reflektieren. “K L O F. cyberographies of folk” stellt einen Versuch dar, den gegenwärtig mit Technologie dicht verwobenen Alltag in einem neuartigen folkloristischen Tanz widerzuspiegeln. 


„K L O F. cyberographies of folk“ von Irina Demina (Premiere: 12.05.2022) ist noch bis 7. Mai 2023 im DOCK 11 zu sehen. Tickets unter dock11-berlin.de.