Vom 5.-7. und 12.-14. Mai 2023 präsentiert das A.PART Festival 2023 … macht Radau im ada Studio Arbeiten von Berliner Tanzstudierenden und Alumni. Jedes Wochenende ist einer anderen Gruppe an Künstler*innen gewidmet. Inky Lee besuchte den Premierenabend und sah fünf Performances mit anschließendem Künstler*innen-Talk.
Nach drei Stunden Performances und Gespräche verlasse ich das ada Studio, getragen von der Wärme der Community und dem Gefühl gegenseitiger Unterstützung, die in der Begeisterung des Festivalteams bei einer engagierten Präsentation der jungen Kunstschaffenden ihren Ausdruck fand. Ich spürte die Leidenschaft der beteiligten Performenden und ihre Bereitschaft, andere an ihren Erkundungen teilhaben zu lassen. Ich genoss den Großmut des Publikums, das sich an jeder einzelnen Produktion originär interessiert zeigte.
Als ich selbst noch darum kämpfte, nach meinem Studium in der Szene einen Fuß in die Tür zu bekommen, teilte eine Freundin – bereits etabliert als Künstlerin und Kritikerin – ihre weise (oder eher romantische?) Einsicht mit mir. Mutig sei eine Kunstschaffende dann, wenn ihre Werke sich nicht vom jeweils aktuellen Trend beeinflussen ließen, sondern wahres Interesse verkörperten. Alle Inszenierungen, die ich heute Abend sah, demonstrieren das originäre Interesse der/des Performenden. Eine jede von ihnen ist von kommerziellem Erfolgsdenken unberührt. Das A.PART Festival-Team offeriert nicht nur praktische Tools – professionelle Videoaufnahmen der Performances in bester Qualität, Besprechungen der Stücke durch hauseigene Autor*innen – die der Karriere der Kunstschaffenden unbedingt förderlich sind, sondern sie bieten ihnen auch einen Ort, an dem sie träumen und ihre Visionen mit anderen teilen dürfen.
Wer in der eigenen Recherche jedoch die immanenten Interessen der Szene ignoriert, beeinträchtigt die eigenen Chancen auf Projektfinanzierung, ohne die ein Überleben auf der Bühne unmöglich ist. Das Dilemma ist ein wiederkehrendes Thema in Gesprächen, die ich mit befreundeten Kunstschaffenden führe. Unsere ewige Frage lautet: Wir etablieren wir uns im System? Wie erringen wir diese erste Anerkennung, die uns hilft, an Jobs und Finanzmittel zu kommen? Was machen wir in der Zwischenzeit, angesichts der Schwierigkeit, als Kunstschaffende in einer kapitalistischen Gesellschaft zu überleben, die unseren künstlerischen Erkundungen nur geringen Wert beimisst? Noch schwieriger stellt sich die Lage für eingewanderte Kunstschaffende dar, deren Deutschkenntnisse weniger gut sind als die der „Natives“.
Das Eröffnungsstück Bitte Aussteigen – Das Musical von Mateo Argerich thematisiert die ewige Existenzangst in einer humorvoll dramatisierten Inszenierung. Basierend auf seinem Debutalbum please leave the train erinnert Bitte Aussteigen an eine Pop-Operette. In dynamischen Songs wie Take your head out of your ass, Mateo heißt es: „I’m smart. I’m legal. I’m from Argentina. I got my Anmeldung and a big smile. I pay my taxes on time. Give me a VISA. I need a new apartment. Give me a ZUHAUSE. Give me the FUNDS…“ Argerich beschreibt die Produktion im Gespräch nach der Show als inneren Monolog. Allerdings: „Wer mich kennt, weiß, dass es kein Monolog ist. Es ist Polyphonie.“
Das zweite Stück, shaping pleasure von Sointu Pere und Oli Fierz, verwirrt mich. Zunächst. Der Titel suggeriert Vergnügliches, doch die Tanzenden blicken ernst. Sie bewegen ihre Münder, Augen, Gesichter zu dröhnender Musik. Bewegung erfasst nach und nach auch ihre Körper. Anfangs langsam, bald heftig pulsierend, sich schüttelnd. Ich frage mich, ob es bei dieser Produktion um das Streben nach Lust geht, die Erkundung des Ich und seines Ambientes durch Tanz, trotz der Unwägbarkeiten, die dieser Pfad birgt. Am Ende ziehen Pere und Fierz Seite an Seite, eng beieinander, entlang eines diagonal ausgeleuchteten Wegs von der linken Oberbühne bis zur rechten Unterbühne. Sie lächeln. Ganz offensichtlich empfinden sie Freude. Ein wenig Freude jedenfalls. Im anschließenden Talk berichten die Autor*innen der Produktion, dass es ihnen um Freude, Lust und Vergnügen ging. Allerdings seien sie auf dem Weg dorthin auf weitere Emotionen gestoßen, die sie verarbeiten mussten, um das ultimative Stadium des Glücks zu erreichen.
Mit Ami in the box zeigt Aminata Reuß die dritte Inszenierung des Abends. Sie thematisiert ihr persönliches Verhältnis zu Musik und Tanz. Die Künstlerin folgt in ihren Bewegungen diversen Dynamiken und Emotionen zu drei Musikstücken, die von drei kontrastierenden Farben und Lichtschattierungen begleitet werden. In der Feedback-Runde anerkennen mehrere Zuschauende Reuß‘ Mut, sich als so verletzlich zu offenbaren.
Die vierte Performance wird präsentiert von Joanin Suchomel und Andreina Eyman. Unter dem Titel be alright befasst sie sich mit dem Thema Tod. Die Performenden tragen schwarze Trikots. Sie kehren uns den Rücken zu und halten sich an den Händen. Sie drehen sich um, und ich sehe, dass ihre Gesichter weiß gemalt sind. Eine problematische Entscheidung. Denn das Bemalen des Gesichts auf eine Weise, die auf eine bestimmte Hautfarbe anspielen könnte, ist eine sensible Angelegenheit, finde ich. Als später, im Verlauf der Performance, eine rote Clownsnase auftaucht, nehme ich an, dass die weiße Farbe auf das Bild des Clowns verweisen soll.
Das letzte Ballett, From the narrator’s chair, von Samira Aakcha und Giulia Lampugnani (Originalmusik von Constantin Carstens) spielt in einer von den Tanzenden geschaffenen abgeschotteten Welt. Sie performen, fast durchgängig in hohem Tempo, eine strenge Choreografie von Bewegungen, und versagen sich jeden Blick aus ihrer Welt hinaus auf das Publikum. Sie vollführen präzise, repetitive Bewegungen, mit denen sie ihre Körper anders ausrichten, andere Strukturen formen, neue Zwischenräume bilden. „In dieser Performance geht es um Energie. Wir schälen uns aus den Schichten der Liebe und Sozialisationen, wir erkunden Ermüdung, Wiederholung und Fragmentierung“, erklären uns die Künstler*innen in der anschließenden Fragerunde.
Als roter Faden zieht sich durch die fünf Inszenierungen, dass jedes Stück sorgfältig gestaltet und in enger Abstimmung mit der Musik choreografiert wurde. Es sind vor allem die Duette, in denen die Tanzenden die Variationen in sich wiederholenden Bewegungen ergründen, das Spiel mit relationalen und räumlichen Positionen aufgreifen, sich dem Timing und der Musikalität hingeben. Dieser Tanzabend feiert das Engagement der Kunstschaffenden, die die Objekte ihrer Neugier mit ihren und durch ihre Körper nachzeichnen und ausdrücken wollen.
Übersetzung aus dem Englischen: Lilian Astrid Geese
A.PART Festival 2023 … macht Radau presents two programs of diverse perspectives on choreography and dance by alumni and students from Berlin’s dance education programs, curated by Julek Kreutzer and Diethild Meier. Running live at ada Studio from 5-7 May (program 1) resp. 12-14 May 2023 (program 2), ticket reservation via ticket AT ada-studio.de.
Each program is presented as videostream the week after at ada-studio.jimdofree.com free of charge. You are welcome to purchase a .com(munity) ticket to reward the work financially.
A.PART Festival 2023 – program 1 with works from Mateo Argerich, Sointu Pere, Oli Fierz, Aminata Reuß, Joanina Suchomel, Andreina Eymann, Samira Aakcha, Constantin Carstens, Giulia Lampugnani. More information about the artists and the pieces at ada-studio.jimdofree.com/festivals/festival-2023-programm-1-english/.
A.PART Festival 2023 – program 2 will be live performed at ada Studio from 12-14 May 2023 at 7pm (videostream available from 16-19 May 2023) with works from Maia Joseph, Libertad Esmeralda Iocco, Katherine Rojas Contreras, Pimon Lekler, Jessica Ikonen, Nastasja Berezin, Kristen Rulifson, Mei Bao, Cikacé Lestine, Marta Marja Ruszkowska, Hana Stojaković. More information about the artists and the pieces at https://ada-studio.jimdofree.com/festivals/festival-2023-programm-2-english/.