In Nawa teilt Sahar Damoni Freude und Leid des Lebens in ihrem Körper. Das Stück feierte am 23. und 24. Mai 2024 bei den Potsdamer Tanztagen im T-Werk Premiere.
Das Trauma bleibt. Es krallt sich fest, in deinem Körper, als dauerhaft schmerzvolle Erinnerung. Gäbe es Linderung, würde er betäubt, in einen anästhetischen Zustand versetzt? Kann ein Körper vergessen? In ihrem Stück über die traumatische Erfahrung einer Abtreibung unter Narkose stellt sich Sahar Damoni dem Gedanken an ein Erlebnis, das sie nicht loslässt. Frontal.
Von zehn Masten unterschiedlicher Höhe fällt diffuses Licht in den Raum. Ganz hinten erscheint die Silhouette Damonis. Sie singt ein arabisches Lied. Sie tritt auf die Bühne, kehrt uns den Rücken zu, bleibt neben einem hohen Pfosten stehen. Eine Stimme ertönt. Sie spricht Englisch: „First, you shake…“ [Erst schüttelst du dich…]. Die Worte klingen wie ein Auszug aus einem Selbsthilferatgeber zur Überwindung traumatischer Erlebnisse. Damoni schüttelt sich. Als hätte jemand einen Schalter umgelegt. Im Stakkato-Rhythmus der Musik zuckt ihr Körper, vor allem ihr Becken, vibrierend, artikuliert pulsierend. Gekleidet nur in ein schwarzes Tanktop und einen Slip, zeigt sie zitternde Haut, weiter und weiter. Ihr Körper ein stummer Schrei. Das Zittern, das verhalten begann, schlägt Wellen, durchzieht sie immer stärker, erfasst auch ihr Gesicht. Sie schreit, sie öffnet den Mund, steckt die Zunge raus… Als wollte sie uns mit ihrer Physis konfrontieren. Sie fordert uns auf, sie so zu sehen, wie sie sein will.
Im Gespräch nach der Show berichtet die Künstlerin, dass das Thema Abtreibung in ihrer Kultur ein Tabu ist. Umso mehr, wenn eine alleinstehende Frau davon spricht. Im Programmheft beschreibt sie sich als christliche palästinensisch-arabische Choreografin und Tänzerin aus Schefar’am in Galiäa. Sie erklärt, dass Nawa zwar vom Trauma ihrer Abtreibung handelt, doch sie möchte nicht nur den Schmerz, sondern auch die Freude an ihrer Körperlichkeit vermitteln. „Ich bin eine Frau, und ich kämpfe ständig um die Freiheit für meinen Körper.“, lässt sie uns wissen.
Nach dem Erzittern, das zur Begegnung mit dem Publikum wurde, geht die Performance in die Beschreibung einer inneren Landschaft über. Damoni – in weißem Netzhemd – bewegt sich zwischen den Lichtmasten. Ein Ende des langen, einzelnen Fadens, aus dem das Gewand gewebt ist, ist an einen dieser Pfähle gebunden. Damoni bewegt sich, der Faden löst sich, das Kleid trennt sich von unten nach oben auf und wird zu einem Netz, das sich über die ganze Bühne spannt. Je länger die Künstlerin läuft, desto dichter wird das Netz. Wir werden Zeug*innen der Visualisierung ihrer Körpererfahrungen, die lebendiger und komplexer wird, je mehr sich die engmaschigen Emotionen auflösen.
Durch die Produktion und Aufführung heilt sie vom Trauma ihrer Abtreibung, sagt Damoni im Talk nach der Vorstellung. Ich höre die Worte und frage mich, ob jedes Trauma geheilt werden kann, persönliches Trauma wie kollektives. Noch einmal lese ich das Programmheft, in dem Damoni schreibt: „Ich mache Kunst für mich selbst, für meine Ganzheit, für meine Menschlichkeit. Und ich teile diese Kunst mit denen, die ihr Herz und ihren Verstand öffnen. Ich lebe und schaffe weiterhin an einem geteilten Ort, mein Tanz ist mein Akt des Widerstands.“ Ich lese die Worte und denke, dass für manche Körper die Forderung nach dem Recht auf Selbstbestimmung bereits ein Akt des Widerstands ist.
Übersetzung aus dem Englischen: Lilian Astrid Geese
Nawa von Sahar Damoni feierte am 23. und 24. Mai 2024 im Rahmen der Potsdamer Tanztage seine Deutschlandpremiere im T-Werk.