Floating Roots, Inky Lee ©Ceren Saner

Die niemals Wurzeln schlagen. Ein performatives Archiv der queeren asiatischen Diaspora

Für Floating Roots (9.-12.5.24, Tanzfabrik, Wiederaufnahme) interviewte Inky Lee 17 asiatische und queere Einwander*innen der 1,5. und 2. Generation. Sechs von ihnen stehen gemeinsam mit zwei Tauben Performer*innen auf der Bühne.

Die Bühne, auf die ich blicke, steht niemals still. Ein ständiges Kommen und Gehen. Immer rennt jemand im Kreis, mit klopfenden Schritten. Ein*e andere*r bewegt sich, schleichend langsam, ebenfalls im Kreis, in die Gegenrichtung. Oder von einer Ecke in die andere. Oder um eine andere Person herum, ohne sie aus dem Blick zu verlieren. Ich sehe nach links, nach rechts, wieder nach links. Ich versuche das Geschehen zu begreifen, das sich aus nüchtern ausgeführten Bewegungen ohne ersichtliche Ziele zusammenzusetzen scheint. Fortwährende Lichtwechsel tauchen das Ganze in blau, dann rosa, dann gelb, blau, rosa, gelb, usw.

Wie eine Welle schwappt die Ruhelosigkeit von der Bühne auf mich über. Zusammen mit den collagierten Berichten über Migration, Diskriminierung, Einsamkeit und das Gefühl, weder in der „alten“ noch in der „neuen Heimat“ dazuzugehören, die während des Stücks über eine Tonspur abgespielt werden, bewirkt diese Performance in mir eine anwachsende Erschlagenheit. Und doch kann dieser Zustand der Erschöpfung mich wohl nicht annähernd den zermürbenden Prozess jahrelanger Kämpfe um Asyl oder die anhaltende Konfrontation mit mal kruden, mal subtilen rassistischen Äußerungen, tatsächlich nachfühlen lassen. All das bleibt mir als weißer Frau in Deutschland erspart. Heute Abend bin ich eingeladen, die Geschichten derer, die nirgendwo Wurzeln schlagen können, zu bezeugen, vielleicht einen Hauch der Heimat- und Rastlosigkeit nachzuempfinden.


©Ceren Saner


Da geht es bspw. darum, wie die Eltern, zum Arbeiten in Deutschland, ihr gerade mal acht Wochen altes Kind mit der Großmutter nach Shanghai schicken, weil für die Betreuung keine Zeit ist. Oder um eine*n Teenager*in, die vor dem Spiegel das Gesicht knetet, in der Hoffnung, die Nase möge davon kleiner und die Augen größer werden. Inky Lees Performer*innen, von denen einige der Geschichten stammen, stehen zum ersten Mal und nur für diese Arbeit auf der Bühne. Verbunden durch ein neongelbes Band begeben sie sich in wechselnde Konstellationen zueinander: Verbindungen werden geknüpft, bis aufs äußerste gespannt, abgeschnitten. Gruppen formieren sich und verlieren sich. Über weite Strecken des Stücks fällt es mir schwer, ihr Tun mit dem, was ich höre, in Verbindung zu bringen. Doch dann gibt es auch jene Momente, in denen die prekären Konstellationen der Körper, wie bei einer Familienaufstellung, mit den Erzählungen, die aus den Lautsprechern dringen, korrelieren oder in ein produktives Reibungsverhältnis treten. Momente, von denen ich gerne mehr gesehen hätte.

Manchmal stocken die Stimmen vom Band und ein Weinen bricht sich Bahn. Eine*r der beiden Tauben Performer*innen, die mit ihren Gesichtern und expressiven Gesten auch das, was nicht in Worte gefasst werden kann, zum Ausdruck bringen, zieht dann meine Aufmerksamkeit auf sich. Das Archiv der Erfahrungen queerer Menschen aus der asiatischen Diaspora, so wird mir dann deutlich, geht noch weit über das, was heute erzählt werden kann, hinaus. Floating Roots stellt in diesem Sinne vielleicht gar keinen Abschluss, sondern den Beginn eines Prozesses dar.


Floating Roots von Inky Lee wurde vom 9. bis 12.5.2024 in der Tanzfabrik Berlin aufgeführt.