Yuki Onna, Isabelle Schad / Aya Toraiwa ©Dieter Hartwig

Sie will doch nur spielen

Yuki-Onna – die Schneefrau von Isabelle Schad und Aya Toraiwa lädt alle ab fünf Jahren ein, aus der Frühlingssonne in die Schneelandschaft des japanischen Mythos einzutauchen. Das Tanzstück prämierte am 28. April 2024 in der Tanzhalle Wiesenburg und war anschließend vom 3. – 5. Mai 2024 im Theater o.N. zu sehen.

„Es war einmal mitten im Winter, und die Schneeflocken fielen wie Federn vom Himmel herab.“ Der einleitende Satz des Märchens Schneewittchen wäre auch ein passender Einstieg für Yuki-Onna – die Schneefrau. Als ich an diesem sonnigen Freitagmorgen das Theater o.N. betrete, denke ich an all die Geschichten, die mir als Kind erzählt wurden und wie diese noch heute nachhallen. Ich erinnere mich daran, wie Frau Holle Schnee aus den Kissen schüttelt, wie Rapunzel ihr Haar herunter lässt, wie Εἰρήνη (Eirene) aus der Höhle befreit wird. Umso neugieriger macht mich die Sage von Yuki Onna, die ich bis zur Ankündigung dieses Tanzstückes noch nicht kannte.

Der Boden der kleinen Bühne ist mit schneeweißen Stoffen ausgelegt. Nebelschwaden hängen in der Luft. Am vorderen Bühnenrand steht Tänzerin Aya Toraiwa und blickt in die neugierigen Kindergesichter im Publikum. „Ich bin Yuki Onna – die Schneefrau“ ertönt eine Stimme aus den Lautsprechern. Die Tänzerin öffnet ihre knielangen schwarzen Haare, breitet sie vor sich auf dem Boden aus und beginnt über die weiße Bühne zu rollen. Während sie sich spielerisch von rechts nach links wälzt, ruft sie mit fröhlicher Stimme Worte und Silben auf Englisch, Deutsch und Japanisch. Schräg vor mir dreht sich ein Kindergartenkind zu seinen Freund*innen um und erklärt ihnen: „Das sind normale Haare, denn wenn es Kunsthaare wären, würden sie ab, ab, ab fallen.“ Die Haare bleiben im Fokus des Stückes. Die Tänzerin versteckt sich hinter ihnen, schwingt sie in großen Kreisen. Die Beobachtung der Strähnen hat eine fast hypnotische Wirkung, als müssten sie den physikalischen Gesetzen von Schwerkraft und Zeit nicht folgen. Wenn die schwarzen Locken auf dem weißen Boden liegen, denke ich an Wurzeln oder tiefe Risse in der Schneelandschaft. Fährt Aya Toraiwa mit den Fingern durch die vorm Gesicht hängenden Haare, werden diese zu Zähnen eines gruseligen Monsters.

Bei meiner Recherche zu dem Mythos ist immer wieder unklar, ob Yuki Onna nun ein guter oder ein bösartiger Geist ist. In manchen Ausführungen lockt sie Menschen bei Schneestürmen in die Kälte, lässt sie durch ihren eiskalten Atem oder einen Kuss erfrieren. In anderen wird sie als friedlich und spielerisch beschrieben oder als helfende Kraft in kalter Not. Immer jedoch ist sie einsam. Sie streift alleine durch verschneite Wälder und spielt mit den springenden Schneeflocken. Die Kinder im Publikum haben keine Angst vor der dargestellten Yuki Onna. Die Einsamkeit der Figur ist jedoch stark spürbar. Immer wieder spielt sie mit ihrem Haar, wirbelt es durch die Luft, bis es fast so scheint, als hätte es einen eigenen Willen. Den Strähnen wird Leben eingehaucht, sie werden zum eigenständigen Körper, zur treuen Begleitung der einsamen Wanderin.


Yuki-Onna – die Schneefrau von Isabelle Schad und Aya Toraiwa feierte am 28. April 2024 in der Tanzhalle Wiesenburg Premiere und wurde vom 3. – 5. Mai 2024 im Theater o.N. gezeigt.