Terrestrial Transit, Cranky Bodies ©Michiel Keuper

Auf Erden nur zu Gast

Der interdisziplinäre Abend Terrestrial Transit wirft die Frage danach auf, wie wir das irdische und endliche Sein-im-Übergang beherzt als eine Lebensform bejahen können. Mit fünf Aufführungen bis zum 9. Dezember 2023 im DOCK11 schließt die Kompanie Cranky Bodies ein nomadisches Projekt ab, das in Berlin begonnen hat und über Brandenburg und die Grenzstadt Szczecin bis an die Ostsee führte.

Dass wir als Menschen nur Gäste auf Erden sind, ist ein alter Topos. Dabei winkt in konservativ-christlichen Erzählungen, die bis heute mal weniger (und leider auch) mal mehr expliziten Einfluss auf menschliche Perspektiven und Politiken haben, am Ende der irdischen Reise das Paradies: ein Himmel der Erlösten, ein Ort ätherischer Wesen, die die Schwerkraft überwunden haben. Während die Mars- und Mondambitionen eines Elon Musk oder Jeff Bezos diesen utopischen Eskapismus fortschreiben, erkennen andere, dass es Zeit ist, den Transitort Erde aus seinem Bushaltestellenstatus zu befreien.

Dafür braucht es Zeit, gegenseitige Fürsorge, Verantwortlichkeit und den Mut, Experimente zu wagen, die Grandioses hervorbringen oder schiefgehen können. Das erfahren wir während der dreistündigen improvisierten Performance auf mehreren Ebenen. Da wäre zum einen der Rahmen einer Videoarbeit, die sich über zwei Seiten der Bühne erstreckt. Sie holt Bilder einer zurückliegenden Reise in den Raum: ein Dachbodenstudio im brandenburgischen Ponderosa, ein windiger Meeresstrand, eine unbefahrene Straße, ein Waldgebiet hinter den Industrieruinen Szczecins. Sie zeigt Menschen, die heute nicht hier sind, sowie frühere Versionen jener elf Performer*innen, die hier und jetzt mit subtilen Gesten und Handlungen Bezug auf die projizierten Bilder nehmen. Der dritte Raum, der sich dabei öffnet, spricht vom Vergehen der Zeit und der unkalkulierbaren Magie der Erinnerung, in der Reichtum und Verlust unauflösbar miteinander verstrickt sind.

Doch die Schleifen der Zeit bestehen nicht aus Imagination allein, sondern durchkreuzen Körper von Gewicht, nachgiebige und widerständige Körper, aus Fleisch und Blut, aus Holz und aus buntem Plexiglas. Immer wieder beschleunigt sich das Geschehen zwischen den Performer*innen, die sich gegenseitig rufen, umkreisen, beschatten, abtasten, heben, fangen und fallenlassen. Und immer wieder wird es schließlich langsamer und noch langsamer, um still in diffizilen Balanceakten zu verweilen oder ganz zu Boden zu sinken, sich auf der temporären Heimat Erde abzulegen. Auch ich bin irgendwann eingeladen, meine Augen zu schließen. Es wird sich um mich gesorgt. Ich darf die Aufgabe des Zusehens, die ich mir nicht nur mit den anderen Gästen, sondern auch mit den Performer*innen selbst teile, für einen Moment ruhenlassen. In völligem Frieden hören wir auf das von einem Performer so genannte „Nichts“, das nach eineinhalb Stunden „produziert wurde“.

Nach und nach sortiert sich daraufhin der Raum neu. Ein strahlendes neongelbes Seil wird ausgerollt, von einer Ecke zur anderen gespannt und durch die Hände des Publikums gereicht, bis draußen vor die Tür. Ein Gast verlässt die Performance und wird zum Abschied umarmt. Eine kleine, aber klare Geste ist das, in der großen Verstrickung aller mit allen. „Wir sehen, dass Du da bist,“ sagt die Geste, „wir begrüßen dein Kommen und dein Gehen.“ Das Seil ruckelt durch die Sitzreihen, wird zum Hüpfseil und schließlich zu einer hypnotischen Spirale, die den Abstand zwischen zwei Körpern vermisst.

Was für mich spürbar wird, in der zum Teil jahrzehntelangen gemeinsamen improvisatorischen Praxis der Cranky Bodies, ist ein Begriff von Freiheit, der mit Neugier und Aushandlungsbereitschaft die materiellen Grenzen und Bedingungen, die das irdische Leben ermöglichen und ihm Form geben, einbezieht. Eine Freiheit, die mit Fürsorge ihre Grenzen umarmt.


Terrestrial Transit von Cranky Bodies a/company (Tanz: Alexandra Borys, Anna Nowicka (Film), Alistair Watts (Film), Asaf Aharonson, Bjørn Ivan Ekemark/Ivanka Tramp, Caroline Neill Alexander, Eszter Gál, Ka Rustler (Film), Márcio Kerber Canabarro, Marysia Stokłosa, Mor Demer, Oliver Connew, Peter Pleyer) feierte Premiere am 02.12.2023. Weitere Vorstellungen vom 07.-09.12.2023. Tickets unter dock11-berlin.de.