Stars Like Moths, Sol León ©Carlos Quezada

Nebeneinander, Aneinander, Miteinander, Ineinander

Der Ballettabend 2 Chapters Love des Staatsballets Berlin präsentierte am 9. Dezember 2023 in der Staatsoper Unter den Linden zwei Uraufführungen: Stars Like Moths von Choreografin Sol León und Sharon Eyals namensgebendes Werk 2 Chapters Love.

Stars Like Moths

Als sich noch die letzten Zuschauer*innen durch die engen Stuhlreihen zu ihren Plätzen bewegen, betritt Polina Semionova mit langsamen Schritten die Vorderbühne. Es dauert eine Weile, bis die Gespräche im Publikum abklingen und der Fokus einzig der Tänzerin gilt. Zu Don’t Cry Baby von Etta James beginnt sie mit teils weit geöffnetem Mund schnell zu gestikulieren. Es scheint jedoch nicht, als wolle sie eine Nachricht überbringen, eher als wiederhole sie mehrmals eine alltägliche Bewegungsabfolge. Mit einer Scheibe Wassermelone erscheint Matthew Knight aus dem Orchestergraben. Er schiebt ein Stück des Obstes in Semionovas offenen Mund. Den Rest vertilgt er mit raschen chaotischen Bissen. So schnell, wie er aufgetaucht ist, verschwindet er auch wieder.

Zu klassischer Barockmusik folgen nun zwei weitere Duette. Sie beginnen ebenso als Solo, dem sich eine zweite Person wie ein fast passenden Puzzlestück hinzugesellt. Die charakteristischen Ballettbewegungen werden durch ein Spiel mit Gestik, Mimik und vereinzelten Worten modifiziert. Während des dritten Duetts wird ein wachsender Baum auf den Bühnenvorhang projiziert. In seinem Blätterkleid blitzen Videos auf: Erinnerungen aus Alltag, Kindheit und Studio. Die Projektion gibt der interessanten gestischen Ausdrucksform eine für mich zu enge Linse, die diesen Moment verkitscht. Mit dem Verschwinden der Leinwand wird endlich ein schiefer Ballettsaal (Bühnenbild: Sol León, Paul Lightfoot) auf der Hauptbühne sichtbar. Mehrere Tänzer*innen sind in ihren eigenen Welten zu sehen. Nur wie durch Zufall kommt es zu Überschneidungen und Begegnungen, zu kurzen Duetten, die sich wieder in zwei Individuen auflösen. Den choreografierten Überlappungen gelingt es, den Blick des Publikums gezielt zwischen den Tänzer*innen wandern zu lassen.

Stars Like Moths wirkt wie eine choreografische Dekonstruktion des banalen Alltags aus der Perspektive von Balletttänzer*innen. Dies funktioniert als Collage vertanzter Momente und Begegnungen. Als Gesamtinszenierung von 45 Minuten wirken die Szenen in meinen Augen jedoch aneinandergereiht und durch die unterschiedlichen Musiken teilweise abgehackt.

2 Chapters Love

Zu Beginn des 25-minütigen Stücks ist nur ein weißer Körper (Danielle Muir) schemenhaft sichtbar, der sich langsam verdreht und verbiegt. Die Formen, die der Körper annimmt, erinnern an Wandmalerei aus der griechischen Antike. Mit kleinen tippelnden Schritten auf halber Spitze gleiten nach und nach Tänzer*innen auf die Bühne und folgen den Bewegungen der Solistin. Eine plötzlich auftretende Masse bewegt sich kreisförmig über die Bühne und saugt die restlichen Tänzer*innen förmlich ein. Alle sind in denselben beigen, hautengen Trikots gekleidet. Zusätzlich tragen sie goldene Diademe auf dem Kopf und eine kleine Tasche mit Pfeilen am Körper, die an den Liebesgott Eros erinnern. Die Andeutungen an die antike Mythologie stehen den nun immer stärker werdenden Technobeats der Komposition von Ori Lichtik entgegen.

Viele Bewegungen und Motive erkenne ich aus Eyals vorherigen Stücken. Auch das Ausbrechen Einzelner und das wieder in die Gruppe eingesogen werden, ist ein bekanntes Markenzeichen ihrer Choreografien. Als die 26 Tänzer*innen in einem Pulk ganz eng zueinander drängen, morpht sich die Gruppe zu einem beigen, zuckenden Riesenkörper, der plötzlich aufbricht, um ein einzelnes Liebespaar zu kreieren. Doch auch die Liebenden werden wieder von der Masse verschlungen. 


2 Chapters Love


2 Chapters Love von Sol León und Sharon Eyal feierte am 09.12.2023 Premiere. Weitere Vorstellungen am 29./31.3.2024 + 08./16./22./29.05.2024 + 14.06.2024. Tickets unter www.staatsballett-berlin.de.