WERDEN, Magda Korsinsky ©Ze de Paiva

Freude werden

Magda Korsinskys WERDEN erzählt vom Streben nach Freude in der Schwarzen FLINTA* Community. Das Ballhaus Naunynstraße zeigt das Stück vom 15. bis 19. November.

Am Vorabend der Premiere von WERDEN bin ich beim Kollektiven Joy Forum.  GLADT organisiert diesen Raum für die BIPOC LGBTIQA+ Community, damit wir – so heißt es in der Einladung – in diesen herausfordernden Zeiten „auftanken, um neue Energie und Freude zu schöpfen“. „Was macht dir Freude in schweren Zeiten?“, lautet die Frage, die die Performenden auf der Bühne beantworten sollen. In den Details gibt es Variationen, doch generell betonen alle, dass sie zu ihrem Glück Freund:innen und die Community brauchen. Das Event endet mit einer ausgelassenen Tanzparty.

Und so endet auch WERDEN. Kuloued Marohn sagt: „Wie schön, dass wir uns haben.“ Dann beginnen die vier Performenden Black FLINTA*s Jana Falcon, Millie Engono, Kuloued Marohn und Turending Stelkens, fröhlich zu tanzen. In ihrer Performance zeigen sie auf, wie eine gesunde Community aussehen kann: Sie hören sich freundlich und aufmerksam zu; sie ermutigen sich gegenseitig, so zu leben, wie sie sind und stolz auf ihre individuelle und kollektive Gegenwart zu sein.

Irgendwann holt Marohn einen Spiegel hervor und widmet sich ihren Haaren. Die anderen sitzen daneben. Sie erzählen sich Geschichten über Haare. Falcon berichtet, dass sie 16 Stunden braucht, um sich zu frisieren. Das Publikum lacht. Drei Performende gestehen, dass sie früher ihre Locken glätteten, weil „alle das machten“. Für das Haar ist das „Stress pur“. Es ermutigt, wenn wir realisieren, dass in dem Moment, in dem ein potenzielles Problem offen angesprochen wird, eine Verbindung entsteht. Plötzlich wirst du wahrgenommen. Marohn ist fertig. Die anderen fordern sie begeistert auf: „Zeig dich!“ Marohn erhebt sich, blickt ins Publikum und posiert wie ein Model im Modemagazin.  Ich sehe diese Szene und frage mich, wie ein jüngeres Publikum – die Zuschauenden um mich herum sind eher älter – und insbesondere Black FLINTA* Teenager auf die Performance reagieren würden. Gäbe sie ihnen Selbstvertrauen, zumal in ihren Jugendjahren, in der Zeit, in der der Druck zur Anpassung, um sich zugehörig zu fühlen, besonders groß ist, weil nicht nur die Peer Groups, sondern die Gesellschaft insgesamt das exklusiv weißen Features entsprechende herrschende Schönheitsideal permanent bestärken? In einer solchen Lebensphase und angesichts solchen Drucks kann man sich leicht verlieren.

Die Inszenierung ist offenbar durchchoreografiert, Texte und viele Tänze memorisiert. Doch die eigene Persönlichkeit der vier Performenden scheint durch. Ihre Biografien und Ausbildung sind im Programmheft nachzulesen und in der Performance erkennbar. Nicht alle haben Bühnenerfahrung. Selbst da, wo die vier im Einklang agieren, halten und bewegen sie ihre Körper unterschiedlich. Manche schauen in den Saal, bei anderen ist der Blick nach innen gerichtet. Hier und da wirkt ihr Spiel und ihr Tanzen unbeholfen. Ich finde das apart, denn in diesen Momenten sehe ich sie, wie sie sind. Ein wertvoller Beitrag einer Community, denke ich: Hier entsteht eine kollektive Praxis, die dich aus deiner Komfortzone lockt und dir doch Raum lässt, du selbst zu sein.

Als sich die Performenden strahlend beim Schlussapplaus verneigen, fühle ich die Veränderung in ihrer kollektiven Gegenwart. Anfangs, als ich das Theater betrat und sie lachend und plaudernd auf dem Boden sitzen sah, empfand ich die Szene als inszeniert. Ich spürte einen Hauch steifer Nervosität. Jetzt, am Ende der Performance, ist ihre Präsenz weicher, ihr Zusammensein natürlicher. Eine fröhlich-freudvolle Gemeinschaft ist entstanden.

Übersetzung aus dem Englischen: Lilian Astrid Geese


WERDEN von Magda Korsinsky (Performance: Jana Falcon, Millie Engono, Kuloued Marohn, Turending Stelkens) feierte Premiere am 15. Dezember 2023 am Ballhaus Naunynstraße mit weiteren Vorstellungen bis zum 19. Dezember 2023.