Rachel Oidtmann (Autorin / Tänzerin) und Kathleen Heil (Tanzjournalistin) schreiben im Wechsel in ihrer Muttersprache englisch und deutsch über die Tanzplattform Deutschland 2024.
Der zweite Tag der Tanzplattform fällt regnerisch und windig aus. Da passt es gut, dass als Start in den Tag ein kleines Warm-up angeboten wird. In Kollaboration mit dem Tanznetz Freiburg leiten an drei Tagen drei Freiburger Tanzschaffende eine kurze Einheit an. Einer der leider sehr wenigen Momente des Festivals, an denen man die Möglichkeit erhält, einen winzigen Einblick in die Freie Szene vor Ort zu erhalten. In diesem Zusammenhang sei unbedingt die Installation: „Meet the local scene“ im Foyer des E-WERKs erwähnt, in der sich die Freiburger Tanzszene vorstellt.
An diesem Vormittag müssen 45 Minuten reichen, um sich im eigenen Körper einzufinden, bevor man den Tag damit verbringt, andere Körper zu betrachten und anderen Körpern zu begegnen. Beim kollektiven Händeschütteln erhält man die Gelegenheit, sich gegenseitig einmal ganz bewusst in die Augen zu schauen. Ein schöner Moment, als dabei die internationalen Namen der Teilnehmer*innen wie ein Klangteppich durch den Raum hallen.
Im Anschluss beginnt im Literaturhaus Freiburg „Dance Across Triangular Borders“, ein zweitägiges Diskurs-Format, das dekolonisierende Prozesse im zeitgenössischen Tanz behandelt.
Thematisch beklemmend dazu passend reiht sich danach der Besuch von Ligia Lewis‘ Stück „A Plot / A Scandal“ an, in dem in einer Art historischen und anekdotischen Collage und mit zum Teil verstörender Körperlichkeit unter anderem die Sklaverei behandelt wird. Der erste Teil der Performance lebt ganz von der starken mimischen und stimmlichen Präsenz der Künstlerin. Dabei wird zunächst viel angerissen und wenig erklärt. “Well, some stories … are hard to tell“, kommentiert Ligia Lewis diese Vorgehensweise selbst. Stichwort-artige Einordnungen verlinken das Geschehen auf der Bühne unter anderem mit dem 17. Jahrhundert in Frankreich sowie den französischen Kolonien in der Karibik. Mit beeindruckender Leichtigkeit kombiniert die Performerin rohe Laszivität mit einer Art historischem und bisweilen verwirrt anmutendem Herrschergebaren. Damit wirkt sie immer wieder wie Täter und Opfer in einer Person. Trotz aller Schwere gibt es auch unterhaltsame Momente, die zum Teil sicherlich auf eine bloße Überforderung des Publikums zurückgeführt werden können. Auch ein Bühnentechniker sorgt für kurze Aufheiterung, als er in historischer Perücke leichtfüßig tänzelnden Schritts Bodenplatten entfernt. Doch am Ende bleibt vor allem eine tiefe Beklommenheit zurück. Und großer Respekt vor dieser schonungslosen Performance.
Beim Shuttle zur auswärtigen Spielstätte Art’Rhena, die auf einer Rheininsel an der französischen Grenze liegt, kommt Klassenausflugs-Feeling auf. Die Zeit im Reisebus wird zum Kennenlernen, Gespräche vertiefen oder Augen schließen genutzt. Wer (wie ich) vor Ort auf einen kleinen Snack gehofft hatte, wird enttäuscht, denn die Bar wurde für diese Veranstaltung leider nicht besetzt. Dafür findet die Begrüßung im Theater hier gleich in drei Sprachen statt.
Weil eine Tänzerin an diesem Abend ausfällt, steht Tümay Kılınçel selbst mit ihrem Ensemble auf der Bühne. Das Stück beginnt mit entschleunigender Eleganz. Im Vergleich zu einigen der anderen hochpolierten Stücke in der Auswahl, kommt „we ♥ 2 raqs“ sehr pur daher. Auf der Bühne treffen fünf Performer*innen und drei Musiker*innen aufeinander. Zunächst scheint Bewegung hier in seiner reinsten Bedeutung zu funktionieren. Es fühlt sich an, als würde nicht so sehr mit der Bewegung als Medium verhandelt, sondern die Bewegung selbst sowie die sie ausführenden Körper und eine damit aufkommende Lebensfreude gefeiert. Doch gerade über diese Authentizität gerät der Köper selbst immer mehr in den Mittelpunkt und verdichtet sich die Stimmung fast unmerklich. Und eh man sich’s versieht, steckt man mitten drin in einem brandaktuellen Dialog über Körperbilder, Diversität, Queerness und Respekt.
„Or is your opinion about me not my responsibilty?“ Diese Frage schwebt über allem. Zumindest hier scheint ihre Antwort klar zu sein. Und so endet die Performance mit einem durch und durch bejahenden Befreiungs-Tanz auf der Bühne.
Damit diese Message nicht auf der Bühne verhallt, sollten unbedingt alle Festivalteilnehmer*innen diesen Tanz aufnehmen und weiterführen. Eine erste Gelegenheit dazu ergibt sich Samstag ab 21.30 Uhr beim „Club Unique“!
Im Rahmen von tanzschreiber@TPD24, einer Kooperation zwischen dem Tanzbüro Berlin und den Veranstalter*innen der Tanzplattform Deutschland 2024 (Tanzsparte des Theater Freiburg), begleiteten Rachel Oidtmann (Autorin / Tänzerin) und Kathleen Heil (Tanzjournalistin) das Festival schreibend. Die Tanzplattform Deutschland 2024 fand vom 21.-25. Februar 2024 in Freiburg statt.