MELLOWING, Dance On ©Jubal Battisti

Who cares who sees it

Rachel Oidtmann (Autorin / Tänzerin) und Kathleen Heil (Tanzjournalistin) schreiben im Wechsel in ihrer Muttersprache englisch und deutsch über die Tanzplattform Deutschland 2024.

„Who cares who sees it!“ ist die Frage, womit sich ein Teil der Festivalteilnehmer*innen am Samstagvormittag beschäftigen. In einer offenen Diskussionsrunde werden strukturelle Probleme hinsichtlich Sichtbarkeit, Distribution und Zirkulation der Arbeit von Tanzschaffenden in Deutschland thematisiert. Es geht um Ansprüche an die Künstler*innen, die weit über den eigentlichen künstlerischen Prozess hinausgehen, um Premierendruck und die Schwierigkeiten von Wiederaufnahmen und Touring, um Ineffizienz innerhalb der Förderstrukturen sowie den Bedarf von zuverlässigen langfristigen Kooperationen. Das Interesse an dieser Veranstaltung ist groß, der Peterhofkeller voll. Es zeigt die Notwendigkeit dieses Formats und sicherlich auch, dass es bislang zu wenig davon in Deutschland gibt. Als Ausgangspunkt für die Diskussion wird in der Vorstellungsrunde auf eine Studie von Onda France (www.onda.fr) verwiesen, laut der die Hälfte aller produzierten Stücke in Frankreich nur ein- oder zweimal gezeigt werden. Dem allgemeinen Erfahrungswert nach scheint sich das in Deutschland ähnlich zu verhalten. Es ist eine emotionale Gesprächsrunde, nicht nur als erweiterte Themen wie die Demobilisierung lokaler Kunstszenen durch tourende westliche Kompanien angesprochen werden. Man spürt, wieviel Druck, Frust und Existenznöte für die Beteiligten damit verbunden sind. Ernüchternd ist, wie immer an dieser Stelle, der Hinweis auf die Aufteilung der Fördergelder in Deutschland, wo der Löwenanteil an die Stadttheater geht und somit von vornherein nur ein verhältnismäßig kleiner Topf für freie Produktionszentren, Festivals und Freelancer bleibt.
Angesichts der diesjährigen Tanzplattform, die untypischerweise vom Freiburger Stadttheater ausgerichtet wird, stellt sich da beispielsweise die Frage, wie das Theater Freiburg durch Kooperationen mit lokalen Tanzschaffenden auch die Szene vor Ort stärken könnte. Fragen gibt es in dieser Runde viele, geklärt werden können sie hier – natürlich – nicht. Es bleibt der Aufruf zur Kommunikation und eine Art Schlussappell, endlich mit dem weit verbreiteten Missverständnis aufzuräumen, die Künstler*innen müssten diese Probleme alleine bewältigen. „Nobody can!“

Kennenlernen kann man an diesem Vormittag im Peterhofkeller auch die „Arbeitsgemeinschaft Tanz & Elternschaft“ (www.tanz-und-elternschaft.de). Die Initiative setzt sich kulturpolitisch dafür ein, die Arbeitsbedingungen für Eltern und Betreuende im Tanz zu verbessern. Hervorgegangen aus Zeitgenössischer Tanz Berlin e.V. vernetzt sie Tanzschaffende im deutschsprachigen Raum. Dabei geht es z.B. darum, die Wahrnehmung von unsichtbarer Care-Tätigkeit zu stärken, wodurch sich Brüche und Pausen in Lebensläufen erklären. Auch die Etablierung von Betreuungsangeboten auf Festivals und ähnlichen Veranstaltungen ist auf dem „Kids and Caregivers Rider“ zu finden, um Tanzschaffende mit Kindern nicht von vornherein davon auszuschließen.

Da passt es thematisch gut, dass im Anschluss daran beim Empfang des Goethe Instituts endlich auch mal ein paar Kinder durch das Winterer Foyer des Theaters flitzen. Die Veranstaltung wird genutzt, um mit Hellerau den Ausrichtungsort der nächsten Tanzplattform bekannt zu geben. Neben guten Wünschen überreichen die Freiburger Veranstalter dem aus Hellerau angereisten Team Energy Drinks sowie eine kleine Kuckucksuhr.

Bei der Aufführung von Mellowing etwas später strahlen die vielen Jahre der Tanzerfahrung, die sich mit den Tänzer*innen des Dance On Ensembles auf der Bühne versammeln, eine angenehme Gelassenheit aus. Der feine und langsame Aufbau des Stücks stellt zu diesem schon fortgeschrittenen Zeitpunkt des Festivals phasenweise eine Herausforderung für die Konzentration dar. Doch die langsamen, stetigen Verschiebungen der Körper in immer neue Konstellationen entwickeln schnell einen Sog. Perfekt aufeinander abgestimmt und dabei trotzdem nie komplett synchronisiert erstaunt es, wieviel Platz in diesen schlichten Bewegungen für Individualität bleibt. Die Bewegungen und Raumwege werden minutiös gesteigert bis hin zu einem einfachen, aber großen Effekt, als die Schatten der Performer*innen an der Rückwand erscheinen und das Ensemble damit schlagartig verdoppeln. Am Ende drängt sich mir die Frage auf, ob etwas gleichzeitig langatmig und kurzweilig sein kann. So oder so verlasse ich das Theater mit dem guten Gefühl, eine runde und wohltuend griffige Performance gesehen zu haben.


Im Rahmen von tanzschreiber@TPD24, einer Kooperation zwischen dem Tanzbüro Berlin und den Veranstalter*innen der Tanzplattform Deutschland 2024 (Tanzsparte des Theater Freiburg), begleiteten Rachel Oidtmann (Autorin / Tänzerin) und Kathleen Heil (Tanzjournalistin) das Festival schreibend. Die Tanzplattform Deutschland 2024 fand vom 21.-25. Februar 2024 in Freiburg statt.