Das Shiraz Arts Festival, das zwischen 1967 und 1977 jährlich im Iran stattfand, inspirierte Armin Hokmi zu Shiraz. Die Performance wurde vom 29. Februar bis 2. März 2024 im Heizhaus der Tanzfabrik Berlin uraufgeführt.
Sechs Tanzende auf einer weißen, rechteckigen Bühne. Sechs große Lichter erhellen die Bühnenmitte, jeweils drei auf der rechten und linken Seite angeordnet. Rhythmische Musik erklingt leise im Loop. Die Tanzenden bewegen sich minimal und repetitiv. Körper arrangieren sich in variierenden räumlichen Anordnungen und Relationen.
Die Tanzenden halten ihre rechte Hand vor das Gesicht. Mit kleinen Schritten folgen sie dem Takt der Musik. Jeder Takt ein kleiner Schritt. Hüften schwingen, subtil und konstant. Körperansichten aus diversen Perspektiven.
Das dauerhaft Repetitive generiert Intimität, Nähe. Ich erkenne Details, einzigartige Aspekte jedes*r Performerenden. Unterschiedliche Körper, Körperhaltungen, Blicke… Ihre Bewegungen und Gesten erscheinen individuell, selbst bei den „gleichen“ Moves. Noch die kleinste Variation, der winzigste Fehler erscheint vergrößert. Die Tanzenden exponieren sich, erlauben den Blick auf sich en detail. Sind sie sich ihrer Verletzlichkeit bewusst? Oder einfach versunken in ihre Aufgabe?
Filigran. Rigoros. Präzise. Subtil. Fokussiert.
Die komplexe Choreografie bedingt individuell und kollektiv ungeteilte Aufmerksamkeit. Wir lesen sie als Leidenschaft. Das diskrete, doch beharrliche Streben der Tanzenden nach der perfekten Choreografie, im Zusammenklang mit den pulsierenden Beats, lässt die Luft beben. Hier und da verfehlen Bewegungen oder Timings das Metronom. Es fühlt sich an wie aufsteigende Blasen; es siedet, es brodelt, das Ganze könnte überkochen und sich über alles ergießen. Doch rasch ist wieder der Punkt erreicht, an dem es nur noch köchelt. Die Hitze dieser Leidenschaft gart weiter, doch sie kocht nicht über. Kontrollverlust – niemals.
Offenbar ist alles unter Kontrolle. Bewegungsvokabular komponiert aus präzisen Bewegungen der Glieder und Gelenke. Kurze, kalkulierte Momente des Eins-Seins. Leise, rhythmische Klänge in Dauerschleife. Die Tanzenden blicken vor allem nach innen. Gelegentliche Blicke nach außen, ins Publikum, fallen auf. Die weiße, rechteckige Bühne im Zentrum wird durch die sie umgebenden Lampen weiter umschlossen. Farbveränderungen des Lichts schaffen dramatisch unterschiedliche Szenerien. Dieser Behälter umfasst die Szene und steigert in mir, im Publikum, die Wahrnehmung: Ich meine, in einen Dampfkochtopf zu schauen.
Das Shiraz Arts Festival vereinte verschiedene Live-Art-Projekte, von traditioneller Kunst bis zur Avantgarde. Mehrere Kontinente waren vertreten. Verschiedene Kulturen sollten sich begegnen und voneinander lernen. Diesem Spirit folgend verknüpfte Hokmi seine eigene Herkunft – Iran – und sein Studium – in Europa – zu einer Choreografie. Vielleicht fragte ich mich einen Moment lang, in dem die Tanzenden offensichtliche Ballettbewegungen mit ihren Beinen vollführen, warum sie das tun. Doch der Grund wurde mir klar, als Hokmi im anschließenden Künstlergespräch Merce Cunningham erwähnte, der selbst mit Produktionen beim Festival vertreten war. Hokmis persönliche Erfahrung und Ästhetik prägt Shiraz. Deswegen empfinde ich das Werk trotz seiner exakt kalkulierten Präzision als sehr persönlich und emotional. Es schafft eine hypnotische Atmosphäre, die auf eine fragile, gleichwohl entschlossene Orientierung auf die Möglichkeiten der lebendigen Künste verweist. Dies ist ein selbstkritisches Liebeswerk.
Übersetzung aus dem Englischen: Lilian Astrid Geese
Shiraz von Armin Hokmi wurde vom 29. Februar bis 2. März 2024 im Heizhaus, Tanzfabrik Berlin, uraufgeführt.