Mossbelly, Angela Vitovec aka Angela Schubot ©Dorothea Tuch

Teil der atmenden Moorlandschaft

Ihre langjährige Auseinandersetzung mit Moos und der Zerreibung von Pflanzenmaterial mündet für Angela Schubot in der Tanzperformance “Mossbelly”, die noch bis zum 28. Mai 2023 im HAU2 zu sehen ist. Eine aus dem Prozess entstandene Verbindung mit ihrem Großvater, den sie nie kennenlernte, veranlasste die Änderung ihres Künstlerinnennamens zu Angela Vitovec. 

Vor dem Studio in der zweiten Etage des HAU2 ist eine Traube von Zuschauer*innen versammelt, die zögerlich die Schuhe ausziehen und in einen Plastikkorb platzieren. Die Choreografin Angela Vitovec geht umher und gibt eine persönliche Einführung für jede*n im Vorraum: Wir dürfen es uns bequem machen und stets die Position ändern. Einzeln wird das Publikum eingelassen. Ich bin eine der letzten Personen, sodass ich mir bei Eintritt zwischen den verteilt sitzenden und liegenden Menschen auf dem maßgeschneiderten Holzboden einen Weg suche. Der Bühnenbildner David Herman hat eine hügelige Moorlandschaft aus hellem, unbehandeltem Kiefernsperrholz geschaffen, die zu atmen scheint. Ich finde einen Platz an der großen Fensterfront. Hinter mir die saftige Grünfläche vor dem HAU2 und zwei große, blühende Baumkronen. Der Raum riecht angenehm nach Holz. 

Suvi Kemppainen hockt in der Mitte und beginnt leise mit langen Fingernägeln den Boden abzutippen. Mit geschlossenen Augen lausche ich den sanften Regengeräuschen, die durch das arrhythmische Trommeln entstehen. Ab und zu ändert jemand im Raum die Haltung und ich höre das Schleifen von Jeanshosen oder Haut über den Holzboden. Im Drei-Minuten-Takt ertönt die ratternde U-Bahn, die hinter mir am Halleschen Ufer entlangfährt. Kemppainen ändert die Position im Raum und lässt wieder Regenrhythmen erscheinen: Fingernägel, Zehen, Fersen und Fußballen klopfen auf den Boden. Die Qualität des Regens ändert sich stark, abhängig von der Weichheit und Beschaffenheit der Körperteile. In vielen Momenten kann ich mir vorstellen, wie die Wassertropfen auf den gefalteten Körper niederprasseln. 

Plötzlich ändern mehrere Personen ihren Platz. Ann Trépanier balanciert auf ihrem Gesäß in der Mitte des Raums, die Handrücken auf die Augen gepresst. Kate Nankervis stellt sich auf und lässt eine Menge Flüssigkeit aus ihrem Mund auf den Boden fließen. Sie übernehmen die Bewegungen, die Kemppainen im Raum etabliert hat. Nun, mit drei klopfenden und trommelnden Körpern, stoppen die Regengeräusche nie für mehr als einen kurzen Augenblick. Nankervis und Trépanier bilden eine Art Insekt aus zwei ineinander verschachtelten Körpern, das weiter trommelnd über den hügeligen Boden krabbelt. Andrea Maria David, Eileen Szabo, Maria Wollny und Angela Haardt sind im Raum verteilt und nehmen größtenteils die Perspektive des Publikums ein. Nur im letzten Drittel der circa 90-minütigen Performance wird ihre Rolle als Teil von “Mossbelly” deutlich. In inniger Umarmung treten die drei jüngeren Performer*innen mit ihnen in Kontakt. Sanft tippen die Fingerspitzen vom Holzboden über die Haut, als wären diese Körper eine Erweiterung des Untergrunds, ein Teil der atmenden Moorlandschaft. 

“Mossbelly” wirkt auf mich wie ein Regenritual zwischen zwei Welten. Aspekte der Natürlichkeit und Naturverbundenheit werden deutlich thematisiert und doch immer wieder durch gesetzte und spontane Artifizialität durchbrochen: der Holzboden, die falschen Fingernägel, Geräusche von Regen, blauer Himmel, die U-Bahn, die blühende Buche hinter mir. 


„Mossbelly“ von Angela Vitovec aka Angela Schubot (Premiere: 25.5.2023) ist noch bis zum 28.5.2023 im HAU2 zu sehen. Tickets unter hebbel-am-ufer.de.