Dance Loves Music Loves Dance, Modjgan Hashemian/Theater Thikwa ©David Baltzer

Tanz liebt Musik

Die Choreografin Modjgan Hashemian arbeitet nach „MOVE OUT LOUD“ von 2021 nun erneut mit dem Theater Thikwa-Ensemble, bestehend aus behinderten und nicht behinderten Künstler*innen: „Dance Loves Music Loves Dance“ ist eine interaktive Quiz-Tanz-Show, in der Thikwa-Tänzer*innen auf Gast-Tänzer*innen treffen. Die Premiere fand am 17. Mai 2023 im Theater Thikwa statt, wo die Arbeit erneut Anfang Juli 2023 zu sehen ist.

Zehn mixed-abled Tänzer*innen, gekleidet im futuristischen Disco-Style mit silbernen Catsuits, Schlaghosen und wild glitzernden Stoff-Applikationen stürmen in Partylaune auf die Bühne, dazu wummernde uplifting Technobeats, live eingespielt von DJ Grace Kelly am DJ-Pult auf dem linken Bühnenrand. Es kann losgehen, willkommen zur Quiz-Tanz-Show.

Das Konzept: Fünf Thikwa-Künstler*innen haben in Begleitung von Modjgan Hashemian und Michele Meloni (Choreografie-Assistenz) ein Duett für sich und eine*n Gasttänzer*in choreografiert. Das Publikum sieht die Duette zunächst ohne Musik und wählt per Abstimmung, welcher Song zur Choreografie passt. Drei mögliche Songs werden am Ende jedes Duetts eingespielt, durch ein Abstimmspiel vom Publikum ausgewählt, wird das Duett zum ausgewählten Song nochmal getanzt. Ob die passende Musik zu den Choreografien vom Publikum erraten, neu gesetzt oder nicht gefunden wird, steht offen. 

Die Tänzerinnen Debrecina Arega und Filimatou Lim starten mit einer wilden Mischung aus fließenden, ornamentalen Bewegungen im Unisono, weichen Partnering-Hebungen bis hin zu choreografiertem Lachen und bedeutungsvollen Gesten und Pantomimen – ein bisschen romantisch, ein bisschen schön, ein bisschen lustig. Sie wirken, wie übrigens alle Tanz-Paare, sehr vertraut miteinander, unsichtbare Absprachen und intuitive Berührungen steuern ihren gemeinsamen Tanz. Ich stimme für Your Song von Elton John („It’s a little bit funny…“), die Mehrheit wählt jedoch eine verträumte Gitarrennummer als passendes Match, die zugegeben auch passt. 

Tim Petersen und Anna Athanasiou tanzen gemeinsam im Stil eines Roboters, ihre Bewegungen sind eruptiv und isoliert, sie tragen glitzernde Masken vor dem Gesicht, berühren sich selten, eine gewisse Distanz zieht sich durch, und doch sind sie wie durch ein unsichtbares Band miteinander verbunden, etwas Geheimnisvolles breitet sich aus. Die Musikauswahl passend dazu: 80er Jahre Synthipop, New Wave, Disco-Punk. 

Lia Massetti und Brit Rodemund widmen sich der Interaktion zwischen Bewegung und Stimme. Schlürf-, Gurgel- und Fauchgeräusche materialisieren sich im Raum, hallen in den Bewegungen der beiden Tänzerinnen nach, ein akustisch-tänzerischer Schlagabtausch entsteht, ein spielerischer Kampf, launisch und liebevoll, das Publikum wählt einen hämmernd-fröhlichen Up-tempo-Song dazu aus. 

Anne-Sophie Mosch und Adamou Bance geben sich eher lässig, fast unbeteiligt, tanzen behutsam und feinfühlig miteinander, untrennbar verbunden und aufeinander abgestimmt. Die unaufgeregte Haltung der beiden, allen voran ihre Achselzucken-Choreo, wirkt dann zum Song Leider Geil von Deichkind wie ein subversives Understatement. Überhaupt ist das Schillern der Thikwa-Tänzer*innen zwischen vermeintlich privatem Habitus und Performer*innen-Attitüde etwas, das angenehm erfrischend an meiner Sehgewohnheit rüttelt, genauso wie der spezifische Ausdruck im Körper der Tänzer*innen, der sich an den Rändern des normativen Bewegungsvokabulars hervorbringt und sich üblichen Genre-Zuschreibungen entzieht.

Nach einem kurzen Break, in dem die Thikwa-Tänzerin Debrecina Arega zur Empowerment-Hymne Run the World (Girls) von Beyoncé die Gruppe zum Kopieren ihrer Dance-Moves animiert, stimmen Addas Ahmad und Kaveh Ghaemi das Finale an. Ihr explosives und kraftvolles Duett irgendwo zwischen Kampfkunst, Lyrical Contemporary Dance und Meerjungmänner-Motiv wird durch die Songauswahl Beat It von Michael Jackson nochmal auf die Spitze getrieben – und bevor ich mich wieder fragen kann, ob ich Michael Jackson überhaupt noch hören möchte (eigentlich nicht), bin auch ich mitgerissen vom Beat („It doesn’t matter who’s wrong or right, just beat it…“).

Zum Schluss, wenn DJ Grace Kelly erneut aufdreht, holen die Tänzer*innen das Publikum auf die Bühne, und ja, alle tanzen gemeinsam, jede*r auf die eigene Weise, was hier gar nicht so beklemmend sondern eher folgerichtig wirkt, denn dieser Abend ist eine offene Liebeserklärung an den Tanz, die Musik und die Gemeinschaft.


„Dance Loves Music Loves Dance“ von Modjgan Hashemian mit dem Thikwa-Ensemble (Premiere: 17. Mai 2023) ist erneut am 7./8. Juli sowie vom 12.-15. Juli 2023 im Theater Thikwa zu sehen, Tickets unter thikwa.de.