„Street Fabrik“, Ini Dill ©Dieter Hartwig

Street Fabrik

Trotz vieljähriger Entwicklung und Förderung bleibt die ökologische Inszenierung eine Newcomerin auf der Bühne. Am 28. Mai 2023 präsentierte Ini Dill ihre Choreografie Street Fabrik im Haus der Statistik in Berlin.

Trash-Ästhetik, sorgfältig sortiert und unter Einsatz vorhandener Ressourcen: Daraus entwickelt Street Fabrik einen Prozess und eine forschungsgetriebene Performance, die Ursprung und Herkunft zu ihrem Thema macht. Über mehrere Monate sammelte die Choreografin und Tänzerin Ini Dill Altkleider auf den Straßen Berlins, die nun zur Grundlage für eine Erzählung über die Begegnung der Welten der Mode und des Tanzes werden. Stoisch folgt Dill ihrer Prämisse in einer 90-minütigen Vorstellung im Container des Hauses des Statistik, für die sie die Textilien kreativ in diverse choreografische und performative Formationen fügt. Ihre Geschichten werden von dezenter Beleuchtung und dem minimalistischen Sound Design von Sabine Bremer begleitet. 

„Wie sähe die wahre Ökobühne aus?“ Dies ist die Frage, die mit Dills Experiment im Raum steht. Die Künstlerin identifiziert in ihrer Reflektion zum Thema Nachhaltigkeit Ressourcen wie die menschliche Vorstellungskraft, die sie auf Kleidungsstücke projiziert. Zum Beginn der Performance erhalten wir ein eingewickeltes Kleidungsstück, zu dem sie eine vermutlich fiktive Story parat hat. Ihre Kleidersammlung ist auch quasi Plattform für ein ausgefeiltes Bühnenbild, das immer wieder sowohl den Container einbezieht als auch auf menschliche Arbeit verweist: Die Mitwirkenden der Performance sind drei Tanzende sowie Bühnenbauer*innen, die hier anstelle der sonst im Outsourcing Ausgebeuteten in Sweatshops oder Fabriken tätig sind.  

Gleichwohl scheint alles klar geordnet. Nach der Begrüßung durch Dill, die mir erläutert, dass mein Geschenk die einst ihrem Ex-Ex-Freund gehörende Lieblings-Yogahose ist, betritt die Tänzerin in einem fließenden, schwarzen Gewand die Bühne und teilt uns mit, dass alles, was wir hier heute Abend sehen „Teil einer wahren erfundenen Fiktion“ ist, die von Mode handelt. Und dann schafft sie Distanz. Ein langer Blick in den Saal ebnet den Weg zu einer Art choreografiertem Laufsteg unter einem Gerüst, auf dem sich zwei weitere Tanzende bewegen. Elly Fujita und Katja Scholz konstituieren mit ihren langsamen, von einem pulsierenden Beat begleiteten Bewegungen den Kontrapunkt zu Dill. Fujita und Scholz winden sich unter einer schwarzen Decke. Dann beginnen sie, sich spielerisch dem Kleiderstapel mitten auf der Bühne zu nähern, wobei sie sich permanent umziehen. Schließlich entscheiden sie sich für mit Krinolinen verzierte, maßgeschneiderte Gewänder, die groß genug sind, um mehr als eine Tanzende in sich zu hüllen, während Dill feierlich Kleidung über die Bühne trägt und sie an verschiedenen Punkten ablegt.

Mit Yazoos Only You geht die Performance in ein Karaoke über. Auf der Altkleiderbühne zieht ein komplexer, fantasievoller Seilzugmechanismus Textilien in die Höhe oder lässt sie auf den Boden fallen. Ein Teil der Bühne (die auf ihr liegende Kleidung) wird entfernt und ins Publikum geworfen. Dieses wird aufgefordert, die Kleider zurückzuwerfen. Während wir uns der zarten, im Grunde absurden Praxis der choreografisch vermittelten Interaktion mit den Stoffen hingeben, wirft Dill hier und da sarkastische oder witzige Kommentare ein: „Jetzt aber zu den wirklich wichtigen Dingen…“. Langsam geht die Performance in kontemplatives Schweigen über, derweil Fujita über die Bühne gezogen wird. Die drei Tanzenden beginnen das Finale. 

Street Fabrik ist eine Erkundung in sympathischem Chaos und eminent trashiger Dramaturgie. Der Versuch, die Produktion zu entschlüsseln, ist zweifellos die Zeit wert. Tatsächlich stellt sie einen der seltenen bedeutungsvollen Momente in einem Meer zynischer Bühnenarbeiten dar, die den Versuch, Nachhaltigkeit symbolisch zu inszenieren wagen, ohne sich die komplexe Mühe der Entwicklung neuer Methoden oder Dramaturgien zu machen. Wir sollten Street Fabrik daher als eine besondere Auseinandersetzung mit einer nachhaltigen Theaterpraxis begreifen, als erschöpfend, gerade weil das Stück ein System infragestellt, das versucht, sich genau diesen Fragestellungen zu entziehen.

Übersetzung aus dem Englischen: Lilian Astrid Geese


Street Fabrik. Ein Tanz- und Textilrecycling-Projekt von die elektroschuhe (Idee/Konzept/Bühne: Ini Dill, Premiere: 27. Mai 2023) ist noch bis zum 29. Mai sowie erneut am 5./6. Juni 2023 um 20.00 Uhr im Haus der Statistik zu sehen (Bau OTTO, Otto-Braun-Straße 72, 10178 Berlin). Ticketreservierungen via die-elektroschuhe@gmx.net.