MIKE, Dana Michel ©Françoise Robert

Freihandel

Zwischen dem 1. und dem 3. Dezember 2023 präsentierte Dana Michel an drei Nachmittagen MIKE (2023) im Martin-Gropius-Bau. Die Produktion der Berliner Festspiele konstruierte einen sensiblen, toleranten und humorvollen Raum der Kontemplation und des Reflektierens über Körper und ihr Funktionieren.

Verlängerungsschnüre, ein Schreibtischstuhl, Gehörschutz, eine Bürolampe, Kleiderständer, Butterbrotpapier, Teppichrollen, Klebeband: Diverse Objekte, ihr Zweck offensichtlich, liegen hier und dort auf dem Boden der Galerie. Stapel von Dingen finden sich in den vier großen Ausstellungssälen im Obergeschoss des Gropiusbaus. Ein Sammelsurium mechanischer Werkzeuge, jedes sorgsam in einen weißen Strumpf gestopft und unter einer Jeansjacke arrangiert, verweist zart auf eine Assemblage von Gedanken und Aktionen, deren Zweck sich den Betrachtenden entzieht. Hier vermitteln die Utensilien Aktivität auf andere Weise. Als Teil(nehmend)e von MIKE streben sie nach neuer Handlungsmacht, um anderes zu tun: Abweichen, Träumen, Streunen, frei von zugeschriebener Form und Funktion.


©Carla Schleiffer

Ohne Ankündigung, geradezu abrupt, erscheint Dana Michel. Gekleidet wie eine Traderin, in Anzug und Weste, ohne Schuhe, wenn auch mit mehreren Paaren großer, schluffiger Socken, die lose an ihren Füßen schlabbern, macht sie sich an die ‚Arbeit‘. Eine neue Schicht, ein neuer Tag, ein Dollar mehr. In den folgenden drei Stunden unterminiert eine außergewöhnliche Performerin idiosynkratisch angenommene Anerkennungen eines aktiven, funktionierenden Körpers, und verschiebt damit spielerisch unser Verständnis von Alltagsgegenständen und wie wir diese nutzen. Ein subtiles Hinterfragen von Modellen, die unsere Gesellschaft aus menschlichem Handeln und menschlicher Zeit formt. Ein Verweis darauf, wer wir bei der Arbeit oder im Spiel in verschiedenen Situationen sein können.

Michel interagiert mit Werkzeugen und Geräten, mit diversen Objekten und Einbauten des Museums (Leuchttafeln und Schalter, Wände, Türen, Stützen, Kabel, Seile), nutzt sie bewusst falsch, anders als intendiert, ziellos mit dem und durch das sie begleitende Material ihre Rolle in Zeit und Raum erkundend. Irgendwann am Nachmittag lehne ich an einem Türrahmen zwischen zwei Sälen, dicht neben mehreren großen Teppichrollen. Ich beobachte Michel, die in mein Blickfeld tritt und aus diesem verschwindet. Ich sehe sie zwischen, neben, hinter anderen Menschen irgendetwas am Schaltbrett an der Wand machend. Träge öffnet sie die Metallklappe, schließt sie wieder, drückt mit den Händen auf die Anlage, schaut hinein, als betrachte sie eine langsam auf dem Herd köchelnde Mahlzeit. Dann sinkt sie langsam auf den Boden. Die Zeit schmilzt dahin. Druck, Angst, Autorität schwinden. Ohne jede Warnung, vielleicht, weil sie ihre Aufmerksamkeit abrupt einer anderen Sache widmet oder von einem anderen Wunsch beseelt ist, wie ein Hund oder ein Kleinkind auf ein Geräusch reagiert, durchquert sie den Raum. Plötzlich ist sie direkt neben mir, drückt ihr Gesicht in die Teppichrollen. So nah bei Michel, getragen von der bizarren Ruhe der Situation, spüre ich ihr die Textur der Stoffe, als berührte meine eigene Stirn das kratzige Gewebe. Ich versinke in den Details dieser Erfahrung.

Dienst und Zweck sind fehl- und umgeleitet in dieser utopischen, meditativen Landschaft der Interaktion und der Aufmerksamkeit des Tanzens. Zeit wandelt sich, wird zu einem schlaffen, ungebundenen, weichen Material, das sich der Inspiration anbietet. Der Klang eines weinenden Babys oder meine Plauderei mit einem Freund, den ich zufällig traf, werden Teil des Ganzen, fließen ein in die vielfache Gegenwart.  MIKE ist ein sanftes, einfühlsames körperliches Sinnen darüber, wer und wie wir bei der Arbeit sind, in dem die Künstlerin eine eigenwillig clowneske Praxis performt, die durch ihr performatives Hinterfragen des gerade Geschehenden entsteht. In diesem Handeln teilt sie weniger das Ergebnis eines Produkts, das unsere Arbeit generell hervorbringen soll, als die Intensität eines Prozesses . 

Indem es uns liebevoll einem skurrilen Praxissystem aussetzt, das als Arbeit daherkommt, das lächerlich, zirkulär und unlesbar ist, wirft MIKE auf brillante Art und Weise ein subtiles Licht auf die Absurdität und den Wahnsinn des Gegenteils: die Realität der Gesellschaft und ihre brutalen, skrupellosen Machinationen von Zeit, Arbeit und Körperfunktion.

Übersetzung aus dem Englischen: Lilian Astrid Geese


MIKE (2023) von Dana Michel feierte Deutschlandpremiere am 1. Dezember 2023 im Gropius Bau im Rahmen der Performing Arts Season der Berliner Festspiele mit weiteren Vorstellungen am 2. und 3. Dezember 2023.