Dangereuses von Choreografin Julia B. Laperrière spielt vom 30.11. bis 3.12.2023 im Ballhaus Ost und erschafft die gefährliche weibliche Entität, in all ihren Facetten.
Geschlossene Augen, sanfte Bewegungen, Finger streichen über die Haut. Begleitet von anschwellenden Störgeräuschen. In Dangereuses sehe ich selten nur eine singuläre Erzählung. Schöne Momente, die mich mit ihrer Leichtigkeit in den Bann ziehen, sind kontrastiert durch eine andere Seite des Geschehens. Paradoxien entstehen. Grenzen zerfließen. Oder ist das einfach die Wirklichkeit der Dinge, die in unseren alltäglichen Erzählungen selten die Komplexität erreicht, die sie eigentlich braucht? Die fünf Tänzer*innen Rachell Bo Clark, Lisanne Goodhue, Arantxa Martinez, Elvan Tekin und Julia B. Laperrière verwandeln Momente der Stärke in Verletzlichkeit, Intimität in Gewalt, vereinen Lust und Wut und aufeinander Acht geben. Diese scheinbar widersprüchlichen Elemente fließen ineinander, ergänzen einander, bauen aufeinander auf. Besonders in diesen Augenblicken, im Übergang zwischen einem Zustand zum anderen, der Verschmelzung beider Begebenheiten, entsteht das Unerwartete.
Erneutes Antasten. Zuerst spielerisch, dann kämpferisch, erotisch, violent. Gefolgt von Momenten der Befreiung. Als Kleidungstücke durch die Luft fliegen, merke ich, dass es wieder passiert ist. Wo ich vorher darüber nachgedacht habe, wie Wut nichts ist, was allgemein mit dem weiblichen Körper in Verbindung gebracht wird; wie Gefährlichkeit stark männlich konnotiert ist, aber auch durch Klasse und race amplifiziert wird, bin ich jetzt in einem Moment der Leichtigkeit und werde zurückgeholt in die Emotionalität des Stückes. Ich spüre wie die Performer*innen sich diese Wut angeeignet haben, gefährlich und unzurechenbar sind, und die Ermächtigung spüren, die damit einhergeht. Weil es keine einfache Erzählperspektiven gibt, Wut nicht einseitig ist und das Bild der gefährlichen Frau* gesellschaftlich noch nicht existiert, öffnen sich ambivalente Deutungsräume.
Ich finde Befreiung, die sich in Zwang umwandelt, daraus entsteht Stärke, dann Kampf aber auch Unterstützung. Solidarität auch in Momenten der eigenen Verletzlichkeit. Risiko. Rhythmen entstehen, durch gemeinsame Bewegungen, durch das Ausbrechen aus dieser Gemeinsamkeit. All dies wird vom Klangkünstler Amund Ulvestad geschickt zu einer Soundlandschaft zusammengefügt. Plötzlich sind Steine im Spiel. Irritationsmomente. Rundliche Steine als Gegenstände der Zuwendung und Fürsorge? Ein Spiel mit diesen streichenden Steinen, das kindliche Erinnerungen in mir weckt. Ein erneuter Rhythmus entsteht. Dann angedeutetes Werfen. Auf einmal sind wir, das Publikum, mit im Spiel. Die Performer*innen wenden sich uns zu. Steigert sich das Ganze weiter? Wer wirft den ersten Pflasterstein? Und dann passiert es. Ein Feuerwerk, ein Gewitter, ein Angriff, rohe Gewalt. Körper und Gegenstände bäumen sich auf in Protest, im Versuch neue Spielregeln zu definieren, eine neue Ordnung zu erschaffen.
Dazwischen finde ich mich wieder in ruhigen Momenten, die Stille gleichermaßen erzählend als der vorherige Aufruhr. Ich darf den intimen Augenblicken eines Rituals beiwohnen. Ist das ein fremder Körper auf der Bühne, ist es mein Körper, ein einzelner Köper oder unsere aller Körper?
Dangereuses von Julia B. Laperrière (Co-Choreographie, Performance von Rachell Bo Clark, Lisanne Goodhue, Arantxa Martinez, Elvan Tekin | Sounddesign von Amund Ulvestad) Die Premiere fand am 30.11.2023 mit weiteren Vorstellungen vom 01.12.-03.12.2023 im Ballhaus Ost statt. Tickets unter ballhausost.de.