„we will be removed“, Johannes Wieland ©Jens Wazel

Die Stadt unter der Regie des Theaters

Johannes Wielands neue Arbeit „we will be removed“, der zweite Teil einer werdenden Trilogie, die 2016 mit „you will be removed“ begann, verwandelte am 21. und 22. April 2023 die Verkehrsinsel des Charlottenburger Ernst-Reuter-Platzes in eine große Freilichtbühne.

Es wirkt so, als wurde die Verkehrsinsel des Ernst-Reuter-Platzes heute Abend ihrem inoffiziellen Zweck zugeführt. Das erst nach dem Zweiten Weltkrieg in die Ost-West-Achse hineingepflanzte Rondell, das regulär nur über die darunter liegende U-Bahn-Station erreicht werden kann, ist mehr Kulisse eines öffentlichen Raumes, als dass es tatsächlich als solcher genutzt wird. Am Aufführungsabend von „we will be removed“ mutet der Ort noch mehr als ohnehin wie ein großes Freilufttheater an: Auf den beiden Wasserbecken mit Springbrunnen schwimmen mehrere überdimensionale aufblasbare Schwimm-Flamingos, vereinzelt stehen ein paar leere weiße Plastikstühle herum, einige weiße Sonnenschirme sind einsam auf dem Rasen platziert, an den Rändern der Grünfläche sind zwei wie Absperrungen wirkende Tennisnetze aufgespannt, und neben der zur U-Bahn hinunterführenden Treppe steht ein offensichtlich deplatziertes Auto (Szenenbild: Momme Röhrbein). Bevor die geführte Inseltour beginnt, ist nicht ganz klar, was nachträglich hinzugefügte Requisite ist und was zum alltäglichen Bestand des Areals gehört.

Die geplante Anfangszeit ist lang verstrichen, Dämmerung legt sich über den Ernst-Reuter-Platz wie ein Blackout in Zeitlupe. Das verhallende Plätschern der plötzlich aussetzenden Springbrunnen geht in das anschwellende Brausen von Ambient-Musik über, das in seiner Lautstärke sogar das Rauschen der um die Insel strudelnden Autos übertönt (Sound: Mattef Kuhlmey). Der Großstadtverkehr wird zur stummgeschalteten Hintergrundanimation. Scheinbar wie aus dem Nichts erscheint eine vollkommen in Weiß gekleidete Person, die Hände voller Tennisbälle, und schreitet langsam durch das lose verteilte Publikum (Kostümbild: Stefanie Krimmel). Während ein Ball nach dem anderen hoch in die Luft geworfen und von einem imaginären Schläger immer wieder verfehlt wird, läuft bereits die nächste Szene an: Im Scheinwerferlicht des von innen auf einmal violett glühenden Autos entspinnt sich ein Duett zweier weiterer Tänzer*innen, deren Bewegungen immer wieder von Zuckungen unterbrochen werden, die wie Bildstörungen anmuten. Nach diesem Schema entfaltet sich „we will be removed“: Die sechs gleich gekleideten Performer*innen (Chris-Pascal Englund Braun, Meimouna Coffi, Jordan Gigout, Hendrik Hebben, Gotaute Kalmatavičiūtė, Fabian Riess) tauchen fortwährend unvermittelt aus dem Dunkel auf, nur um wenig später wieder darin zu verschwinden. Sich gleichzeitig vollziehende Szenen finden mal in der ausgeleuchteten Mitte des Publikums, mal in der dunklen Peripherie der Verkehrsinsel statt, sodass sich die Zuschauenden immer wieder neu ausrichten müssen und dadurch permanent in Bewegung bleiben.

Dabei spielt „we will be removed“ durchgehend gekonnt mit anderen Medienformen: Die klar gerahmten Bilder voller Dialogfetzen und wirbelnder Gliedmaßen, die jederzeit überall aufploppen können, wirken wie Auszüge aus einer Graphic Novel. Dann wieder wirkt die Aufführung wie ein Videospiel: Alles scheint akribisch durchgeskriptet zu sein, das ganze Areal von unsichtbaren Schwellen durchzogen, deren Überschreiten neue Gebiete freischalten, Handlungen auslösen oder Stimmungen erzeugen kann. Und noch öfter entsteht der Eindruck, Teil eines Filmsets zu sein: Überall sind Lautsprecher, Scheinwerfer und anderes technisches Equipment montiert, und hinter mancher Ecke tut sich ein überraschendes Mini-Auditorium auf. Und weil so viele Smartphone-Bildschirme den Instagram-schönen Tänzer*innen folgen, ihren spektakulären Posen und virtuosen Bewegungen, die sich manchmal unerwartet synchronisieren, weiß man nicht so recht, ob die Handscheinwerfer, die immer wieder zum Einsatz kommen, eigentlich eher den digitalen Aufnahmen oder den analogen Bewegungen verpflichtet sind.

Gegen Ende wird sogar ein kurzes Feuer angezündet. Doch auch dann löst sich die in der Überschrift des Abends angedeutete Prophezeiung — vom Ort des Geschehens entfernt zu werden — nicht ein. „we will be removed“ ist, anders als das Zusammenspiel von Titel und Performance im öffentlichen Raum suggerieren mag, kein Kommentar zu den zunehmend prekären Bedingungen von Kunst im öffentlichen Raum. Viel eher lässt sich das Stück als Studie der theatralen Mittel des Ortes fassen. Indem die Performer*innen durch Gitterroste in unterirdische Schächte hinabsteigen, Springbrunnen angehalten und wieder in Gang gesetzt werden, ständig und überall Scheinwerfer aufleuchten und wieder erlöschen, wird im Verlauf der Aufführung die spezifische Infrastruktur der Verkehrsinsel offengelegt. Und so zeichnet sich durch den Schlussapplaus hindurch die vage Vorstellung einer Stadt unter der Regie des Theaters ab.


„we will be removed“ von Johannes Wieland wurde am 21./22.04.2023 in Berlin auf dem Ernst-Reuter-Platz aufgeführt.