Solo for Boy, Sasha Amaya ©Dieter Hartwig

Junge, sag was!

In Solo for Boy, das am 11.1.2024 im Dock11 Premiere hatte, arbeitet sich die Choreografin Sasha Amaya im Dialog mit dem Tänzer Félix Deepen an westlichen Repräsentationen männlicher Schönheit aus Kunst, Mode und Popkultur ab.

Das mit dem Abarbeiten meine ich genau so, wie ich es geschrieben habe – und es beginnt bereits mit der Ouvertüre. In einer stöhn- und atemreichen Choreografie pumpt sich ein junger blonder Mann, ein Junge, mit entblößter Brust durch eine Routine anstrengender Kraftübungen. Die Arbeit, die sein Körper an sich selbst, zu seiner eigenen Verbesserung leistet, ist eine Wiederholung von Gesten, die tagtäglich von unzähligen Körpern in Fitnessstudios, Parks und Privatwohnungen ausgeführt werden. Das Bild, das dieser Tänzer zitiert, ist eines, das schon lange nicht mehr ausschließlich der Domäne normativer Männlichkeit zugerechnet werden kann.

Ganz im Geist der Zeit vollführt der blonde Junge das Feilen seiner Formen und Konturen nicht etwa im Verborgenen, sondern im Licht der Scheinwerfer. Seht her, wie eifrig ich in die visuelle Ökonomie der Schönheit investiere! scheint es aus seinem muskulösen Körper zu sprechen. Sein Gesicht ist dabei kaum zu sehen – versunken vielleicht in das Zählen der Sit Ups oder Liegestütze. „Are you ready?“ fragt schließlich die Stimme der Choreografin aus dem Off und los geht die lange Reise durch das Bilderbuch der Beautiful Boys: Zu Vogelgezwitscher und Débussys gleichnamigen Präludium erwacht am Nachmittag ein junger Faun. Stampf-Techno, Nebelmaschine und OBI-Werbung begleiten den Auftritt des Handwerkerlehrlings als Sexbombe. Auf einem unsichtbaren Laufsteg posiert mit dümmlich offen stehendem Mund das Male Model.

Ich muss ehrlich zugeben: Ich bin mit der Zeit etwas verärgert darüber, von Bildern normkonformer Attraktivität überschwemmt zu werden, die ich mir sonst bewusst vom Hals zu halten suche. Was aber auf gute Weise irritiert und mich immer wieder zurückholt, sind jene Momente, in denen die Choreografin selbst im Stück auftaucht, sich mit ihrem weiblich gelesenen Körper in dieselben Posen hineinlegt, die sie dem Körper ihres Tänzers vor- bzw. einschreibt. Während sich die beiden unisono nebeneinander räkeln, das Kinn aufgestützt, die Hand auf dem Hintern, stellt sich mir die Frage: Was ist das eigentlich: ein Boy, ein Junge? Wer bestimmt das, und zu welchem Zweck?

Das Solo for Boy, das gar kein Solo ist, sondern ein Duett, in dem die Choreografin auftritt und alles andere als subtil ihr Einwirken auf die Produktion der bewegten Bilder sichtbar macht, versucht die Frage nach dem Wesen des Junge-Seins mit einer Umkehrung der Verhältnisse zu beantworten: Die Trope des männlichen Künstlers und seiner weiblichen Muse wird ersetzt durch ihr Gegenteil. Ähnlich wie die Frau, die erst durch den männlichen Blick Frau wird und keine Stimme hat, um sich selbst zu erzählen, entsteht hier ein aus den Fantasien der Choreografin gebastelter Boy, der gut auszusehen und nichts zu sagen hat.

Die Strategie ist wirkungsvoll, doch das Schweigen des Jungen macht nicht gerade Hoffnung und erscheint mir symptomatisch für zeitgenössische Genderdiskurse und ihre praktischen Aushandlungen, an denen cis-männliche Stimmen verhältnismäßig wenig partizipieren.


Solo for Boy von Sasha Amaya (Performance: Félix Deepen, Sasha Amaya) feierte am 11. Januar 2024 im Dock11 Premiere, mit weiteren Vorstellungen vom 12.-14. Januar 2024. Tickets unter: www.dock11-berlin.de.