NuReal Dust, Nasheeka Nedsreal ©Mayra Wallraff

Etwas anderes als dein Gesicht

Nasheeka Nedsreal eröffnet am 5. Januar 2024 mit der Tanzperformance NuReal Dust die 33. Ausgabe der Tanztage Berlin (5. – 20. Januar 2024).

Neblig und mit Schwarzlicht beleuchtet (Licht: Raquel Rosildete), wirkt der Hochzeitssaal der Sophiensæle düster. Das Publikum sitzt an drei Seiten der schmalen Bühne. Die vierte Seite ist mit einer weißen Leinwand verhangen, vor der sich ein Standmikrofon und ein kleiner Haufen verschiedenfarbiger, teils glitzernder Stoffe befinden. Die entspannte Fahrstuhlmusik, die den Einlass begleitet, wird allmählich kraftvoller (Ton: Ari Robey Lawrence) und kündigt den Auftritt der Performerin Nasheeka Nedsreal an. Mit einem roten Tuch vor dem Gesicht erscheint sie aus dem Treppenhaus. Der Schweif des langen roten Stoffs folgt ihr, als sie sich mit langsamen, an Slow Motion erinnernden Schritten über die Bühne bewegt. Minimal erscheinen abgehackte Bewegungen, als würden einzelne Gelenke über die Langsamkeit stolpern. Mit verhülltem Gesicht kommt sie dem Publikum sehr nah, liegt einigen wortwörtlich zu Füßen, ruht ihren Kopf für einen Moment auf dem Knie einer Zuschauer*in. Trotzdem wirkt dieser Körper unnahbar und distanziert. Sie scheint das Publikum genau im Blick zu haben, ohne dass wir ihren Gesichtsausdruck sehen oder deuten können. Das rote Tuch schleift weiter über den Boden. Seine Form ist eine vage Erinnerung daran, wo dieser Körper herkommt, welche Wege er gegangen ist.

Die plötzliche Stille unterbricht sie mit einer Anweisung, die sie ins Mikrofon spricht: „Make a face, something other than your face. Hold it, don’t lose it. Get up and move. Say something. See what the body does.” (Mach ein Gesicht, etwas anderes als dein Gesicht. Halte es. Verlier es nicht. Steh auf und bewege dich. Sag etwas. Schau, was der Körper macht.) Sie wiederholt diesen Aufruf mehrmals. Sie legt das Tuch von ihrem Gesicht ab, zeigt jedoch immer noch nicht ihr Selbst. Stattdessen zieht sie ein Gesicht, zeigt uns beispielhaft Grimassen, die im Publikum ein Kichern auslösen. Letztendlich stopft sie sich das rote Tuch in den Mund und die Anweisung verschwindet in den lauter werdenden atmosphärischen Klängen. Die Performerin krabbelt unter die bunten Stoffbahnen und rollt mit ihnen als Haufen über die Bühne, bis sie sich einen Teil um das Gesicht legt und den Rest wieder und wieder um Kopf und Hals schlingt. Der riesige verhüllte, bunt-glitzernde Kopf schwebt über dem nun winzig wirkenden, schwarzgekleideten Körper. Immer wieder wird dieser Körper verfremdet. Masken aller Art lassen mich als Zuschauerin mal Distanz einnehmen, mal absolute Nähe spüren.

Nasheeka Nedsreal erzählt über die Macht von Kleidung, Schminke und Style, die so manche Person zu sich selbst finden lässt. Sie berichtet von dem Erlebnis von Performer*innen, die auf der Bühne ein anderes, jedoch nicht weniger wahres Ich präsentieren können. Sie beschreibt es als das Gefühl, besessen zu sein. Eine Besessenheit, die die Grenze des eigenen Selbst überschreitet und Tore zu enger Nähe und ferner Distanz öffnen kann.

NuReal Dust endet mit dieser ekstatischen Besessenheit in einem kraftvollen Zusammenspiel zwischen ausdrucksstarkem Tanz und vielschichtiger Geräusch- und Klangwelt.


NuReal Dust von Nasheeka Nedsreal wurde im Rahmen der Tanztage Berlin in den Sophiensælen gezeigt. Die Tanztage Berlin 2024 finden vom 5.-7. Januar 2024 statt.