Hatched Ensemble, Mamela Nyamza ©Mark Wessels

Enthüllt 

Mit Hatched Ensemble stellt Mamela Nyamza das Grundgerüst des Seins in Frage und lässt Zuschauer*innen kategoriale Zuschreibungen überdenken. Das Stück spielt am 5. und 6. Juni im HAU 1.

Wir betreten das Theater heute ohne vorgezogenen Vorhang. Die Künstler*innen sind bereits auf der Bühne, dehnen sich, wärmen sich auf. Sie tragen gemütliche Pullover und lange, weiße Röcke aus Tüll. Was hier passiert, ist vorerst privat, wir dürfen an den persönlichen Prozessen teilhaben. Dann erklingt ballettöse Musik (Camille Saint-Saëns‘ Karneval der Tiere), die Pullover werden eingesammelt und die Tänzer*innen setzen sich zwischen verschiedene Figuren aus Draht, die mich gleichzeitig an einen Bauernhof erinnern, aber auch Ausstellungsstücke in einem Kunstmuseum sein könnten. Widersprüche wie diese, die trotzdem koexistieren, kommen im Verlauf des Stückes immer wieder vor.

Mit langsamen, graziösen Bewegungen, nah aneinander, bewegt sich die Gruppe der zehn Tänzer*innen über die Bühne. Dabei greifen sie mit langen, sanften Ballettarmen nach den Gegenständen, schweben samt dieser über die Bühne. Ein paar schnelle, ruckartige Kopfbewegungen unterbrechen die meditative Langsamkeit und erinnern mich an Vögel in ihrem Nest. Der Karneval der Tiere ertönt dabei immer und immer wieder aufs Neue, anfangs beruhigt mich die Wiederholung, schließlich finde ich mich sehnsüchtig nach einer Unterbrechung, einem Ausbruch. Wie in einer Traumwelt, aber gefangen im Loop, setzt sich das Schweben fort.

Die idyllische Bühnenlandschaft wird plötzlich unterbrochen von den Geräuschen der Spitzenschuhe, die in schnellen Abfolgen über die Bühne tippeln. Zudem erweitern die Röcke die Klangkulisse, der Schmuck auf ihnen entpuppt sich als Wäscheklammern, die in Bewegung rasseln. Der Klang der Bewegungen übertönt jetzt fast die Musik. Diese endet plötzlich und der Gesang der Opernsängerin Litho Nqai füllt die Bühne. Mit demselben Lied. Es scheint sich in die Körper eingeschrieben zu haben. Zum ersten Mal aber nehmen nun die Künstler*innen den gesamten Bühnenraum ein. Mit roten Hüten (oder Tüchern?) strecken sie sich, mit Schwung, in der Arabesque, im Sprung zu einer Linie, die horizontal über die Bühne gespannt ist; gerade so hoch, dass sie trotz aller Bemühungen nicht erreichbar ist. Erst im gemeinsamen Bestreben schaffen sie es, die Linie zu erreichen und zu biegen. Die arbiträre Grundlage der Linie wird entlarvt, sobald diese als Wäscheleine für die Hüte, die eigentlich Kleider sind, genutzt wird.

Nun sind die Tänzer*innen in neuer Kleidung, in einem präsenten rot, trotzdem aufgereiht und an der Wäscheleine hängend. Das tänzerische Erkunden des Tülls wandelt sich von Spielen in Werfen, Schlagen, Abreißen. Die Kleider wandeln sich in Regenmäntel, nach und nach wird der anfangs nackten Haut Schutz geboten. Nach und nach wandeln sich auch die ballettösen Bewegungen in rhythmisches Stampfen und gemeinsame Schrittabfolgen. Gesang wird eins mit den Bewegungen und den dadurch erzeugten Geräuschen sowie der musikalischen Begleitung. Es entsteht eine Einzigartigkeit aus der neu gefundenen Bewegungssprache und der Klangkulisse, die sich nicht nur ergänzen sondern sogar ineinander verschmelzen.


Hatched Ensemble von Mamela Nyamza wurde am 5. und 6. Juni im HAU1 gezeigt.