HUNDSTAGE von Enad Marouf feierte am 13. Juni in den Sophiensälen Premiere. Vorstellungen folgten vom 14. bis 16. Juni. Die Produktion ist inspiriert von der antiken griechisch-römischen Idee, dass die extreme Sommerhitze der „Hundstage“ Unglück und Unruhe mit sich bringe.
Der Festsaal der Sophiensæle ist mit seiner verblassten Pracht, den großen Fenstern und der abgeplatzten Kassettendecke, alles andere als ein neutraler Raum. Im Gegensatz zu anderen Kunstschaffenden will Enad Marouf ihn jedoch nicht optisch zurückdrängen: Für HUNDSTAGE hebt er seine Charakteristika geradezu hervor. Das Publikum sitzt in den vier Ecken des Saales. Aufwärts strahlende Lampen lenken die Aufmerksamkeit auf die architektonischen Elemente über uns. Die Performenden blicken aus den Fenstern. Sie stehen als Silhouetten im warmen Licht, das aus dem Hof auf sie fällt. Ein leichter Dunst erfüllt die Luft und weckt in uns das Gefühl, wir gerieten in einen Kosmos, in dem gerade etwas geschah. Es ist, als begänne das Stück mit seinem Ende.
Billy Bultheels pulsierender Elektrosound erklingt, und die Performer*innen streben in die Mitte des Saales. Sie stehen lässig herum, wechseln langsam die Position, fixieren das Publikum. Ich fühle mich an eine Modenschau erinnert. Durchaus passend, denn die Kostüme entwarf das renommierte Berliner Modelabel GmbH. Die Bewegungen sind minimal: Zwei Hände halten einander, ein Kopf fällt zurück – in Ekstase oder Schmerz. Wenig mehr geschieht, und angesichts dieser Reduzierung frage ich mich, ob die Pose ironisch oder ernst gemeint ist.
Dann folgt eine Serie kurzer Szenenfragmente. Shade Théret und Ewa Dziarnowska spielen mit einer knappen Bewegungsphrase, ein Trennen und Wiederzusammenfügen in Dauerschleife. Sie stampfen, drehen sich, ihre Gliedmaßen zucken im Takt des insistierenden Beats. Jao Moon und Samuel Pereira lungern herum, Nancy Naser Al Deen singt eine wehmütige Melodie, gelegentlich unterbrochen von einem markerschütternden Schrei aus dem Off. Der starke Kontrast der einzelnen Episoden evoziert die paradoxe Lethargie und fieberhafte Manie, die mit den titelgebenden „Hundstagen“ assoziiert werden. Die episodenhaften Fragmente des Stücks dienen zudem der bewussten Irritation: Licht, Sound und Bewegung zerfallen in spezifische Kapitel, die ineinander versetzt konstruiert sind, dramatische Veränderung in einem unterbricht in keinem Moment den kontinuierlichen Fortgang der anderen. Jede Szene blutet ohne Ankündigung in die nächste. Der Effekt ist destabilisierend. Es ist, als würde uns der dramaturgische Teppich permanent unter den Füßen weggezogen. Im mühelosen Variieren von Farbe und Textur stellt Bultheels Klangdesign einen wunderbar reichen Kontrapunkt dar.
In der letzten Szene finden sich die Performenden erneut zusammen, posieren und bewegen sich langsam in einer Reihe auf die Zuschauenden zu. Die Unmittelbarkeit ihrer Bewegung verwirrt mich. Welche Beziehung gehen sie mit uns ein? Das Publikum sitzt im Licht, auf Distanz gehalten vom eisigen Starren der Tanzenden, die sich unserer Präsenz im Saal gleichwohl nicht bewusst scheinen. Emotional aufgeladene Bewegung blitzt auf, doch die Produktion liegt wie unter einem Schleier performativer Indifferenz, und ich bin nicht sicher, wie seriös sie gemeint ist. HUNDSTAGE hat zweifellos Stil und Eleganz, doch ein Hauch mehr Wärme hätte der Berliner Coolness durchaus gutgetan.
Übersetzung aus dem Englischen: Lilian Astrid Geese
HUNDSTAGE von Enad Marouf feierte am 13. Juni 2024 (weitere Vorstellungen vom 14. – 16. Juni 2024) in den Sophiensæle Premiere.