Am 13. und 14. Januar 2024 präsentierten die Tanztage Berlin Ewa Dziarnowska mit This resting, patience. Von 15 bis 18 Uhr schickten sie uns in den Sophiensælen auf eine Passage der Körperspannung, die sich in tänzerischen Gefühlszyklen aufbaut, bricht, entlädt und regeneriert.
Ein blauer Teppich, verlegt in der Mehrzweckkantine im Erdgeschoss der Sophiensæle, deutet den weiten Horizont unter unseren Füßen an. Auf ihm tanzen Ewa Dziarnowska und Leah Marojević drei aufzehrende Stunden lang wirkmächtige Ausdrucksformen von Einsamkeit und Begehren. Gemeinsam-getrennt produzieren sie die kollektive Wahrnehmung unserer Körper als lebendige, fühlende Materie.
Verteilt im Raum, wie Inseln, die das blaue Meer zwischen ihnen trennt, tanzen sie, als würden sie von Kräften getrieben, die aus dem Innern ihrer Herzen rühren. Dionne Warwick singt What the World Needs Now, in Endlosschleife abgespielt, die vollständige Fassung, mit aufgezeichnetem Applaus. Die Augen meist geschlossen, Haar, Brust und Handgelenke zuckend im Rhythmus dieses Popklassikers, der ein Aufruf zur Liebe ist, bewegen sich die Tanzenden im Auf und Ab, in der fließenden Dynamik der Körpergefühle, entlang der feinen Linien, die sie verbinden: Leidenschaft, Lust, Schmerz. In den Momenten der Stille, bevor der Song neu beginnt, hören wir ihren Atem, ein leises Zischen. Ich erkenne den Walzertakt und den Liedtext – „Love, sweet love“ – im visuellen Rhythmus ihrer Körper. Klang wandelt sich in ein vibrierendes Ambiente, erfüllt die Atmosphäre, dann und wann von Punkrock punktiert.
Maggie Nelson fragt in den Bluets, ob „eine Farbe, die nicht heilen kann, zumindest Hoffnung macht?“ Das Blau in diesem Tanz macht Hoffnung – mit Traurigkeit, Schönheit und Hingabe, im Einklang mit Nelsons herzerschütternder und sensiblen Meditation: „Ich weiß, dass Einsamkeit heißen Schmerz bringt. Bleibt er lang genug heiß, kann dieser Schmerz jedoch ein Gefühl von Göttlichkeit simulieren oder provozieren. Was von beidem? Entscheiden Sie!“ Sich der Wahrheit und Pein des Blau hingebend, pressen sich die Tänzerinnen auf die Oberflächen. Haut trifft auf Teppich, Wände, Stühle und gelegentlich Körper aus dem Publikum, während ihre Erkundung und Sehnsucht nach Physikalität durch langsame, sich windende Gesten eins wird mit der Substanz des Blauraums und seiner Materie. Es verändert sich meine Wahrnehmung von räumlicher Länge, Breite, Tiefe. Yve Kleins famose Beschreibung von Blau als einer Farbe jenseits jeder Dimension kommt mir in den Sinn.
Dann wird die weite, durchdringliche Bewegung zu unisono getanzten Phrasen. Sie bewahrt dabei ihren Reichtum und die Mühe der permanenten (Ver-)Drehung, die von Zeit zu Zeit durch kleine Spurts unterbrochen wird. Arme hochgeworfen, Brustkörbe pumpen, Reißverschlüsse werden geöffnet. Sie greifen sich an ihre eigenen Brüste und Genitalien. Ihre herausragende Virtuosität manifestiert sich in der Qualität, in der sie diese anstrengenden körperlichen Bewegungen realisieren. Schließlich sind sie in Echtzeit aufeinander getaktet, ohne dass wir sehen, dass sie einander beobachten, ohne dass wir Erschöpfung wahrnehmen. Getreu der subtilen Anspielungen dieses Werkes auf Körper, die allein durch die Zeit fließen. So wie Deleuze und Guattari das Begehren und sein Objekt als eins wahrnehmen, und damit das Echo auf Nelsons Argonauten und seine bizarre Verpflichtung zu Liebe, Geburt und Familiengründung evozieren – „Tatsächlich gibt es keine Reproduktion, sondern nur Akte der Produktion. Es gibt keinen Mangel. Nur wünschende Maschinen.“ – wird das Begehren in diesem Tanz als choreografische Produktion interpretiert.
In ihrer Bewegung, zwischen Praktiken von unterschiedlicher Dauer, ziehen Dziarnowska und Marojević sich permanent um: rückenfreies Chiffon und elegante Pina-esken Roben weichen Jeans, T-Shirts und Röcken. Ich sehe es als Reminiszenz an eine Comme des Garçons Karo-Kollektion. Blaue Schattierungen spülen den Raum mit verschiedenen Texturen, während sie gekonnt den Übergang wagen und damit unsere Aufmerksamkeit erheischen: Indem sie immer wieder Stühle in unterschiedlichen Konstellationen zusammenstellen, richten sie unseren Blick neu aus. Sie verlagern ihr Gewicht durch schmerzende, schraubende Bewegungen auf dunkelblauem Boden. Sie tanzen quirlige Soli und Duette, in denen Energie fliegt, kickt und in den Raum explodiert, in überschwänglichem Überschwang. Dziarnowska schreit, während sie ihren Körper zu Janet Jacksons „The Pleasure Principle“ herumwirft. Ihre Geduld wird durch die Intensität der Gefühle auf die Probe gestellt.
Versunken in dieses wechselvolle Ambiente, in dem Zeit frei und großzügig zur Verfügung steht, erfreue ich mich an den Bewegungen: sprudelnd und fließend, sich entfaltende Wirbelsäulen, Gewicht, das sich durch gestreckte Beine regt. Kein Moment des Innehaltens, kein Augenblick der Starre. Wohlgefühl und Schmerz schießen durch meine eigenen Beine, meinen Unterleib, mein Rückgrat, obwohl ich selbst nicht tanze. Meine Wangen errötet, mein Herz schmerzend, mein Mund öffnet sich zum Lächeln. Die performenden Körper der Tanzenden übertragen physische Emotion. Indem sie sich als begehrende Körper präsentieren, bekräftigen sie in This resting, patience Tanz als Möglichkeit, zu leben und zu überleben – in Schmerz, Unzufriedenheit, Liebestrauer, Verlust, in der Freude und dem Verlangen, das wir ständig und in allen Lebensphasen spüren. „Wenn Blau etwas auf dieser Erde ist,“ schreibt Nelson in Bluets, „dann reichhaltig, abundant.“ Ich gebe mich diesem luxuriösen Geschenk hin und schwelge in der Anmut, dem Stil, der Virtuosität der Präsenz, die die Tanzenden so nuanciert produzieren.
Übersetzung aus dem Englischen: Lilian Astrid Geese
Der Titel ist ein Zitat, das Maggie Nelsons‘ Bluets entnommen wurde.
This resting, patience von Ewa Dziarnowska (Performance: Ewa Dziarnowska und Leah Marojević) wurde am 13. und 14. Januar 2024 in den Sophiensælen im Rahmen der Tanztage Berlin 2024 gezeigt. Die Tanztage finden vom 5.-20. Januar statt. Tickets: https://tanztage-berlin.sophiensaele.com/tickets/