Im April 2024 feierte Chaos Kompass Premiere im Theater an der Parkaue. Die vom Ensemble unter der künstlerischen Leitung von Bahar Meriç komponierte Produktion mit elf Performenden zwischen 16 und 27 Jahren wird noch zwei weitere Male im Juni 2024 zu sehen sein.
Ich denke zurück an meine Jugendjahre und habe Herzklopfen. Vermutlich bin ich nicht die Einzige, die sich halb lachend, halb schauernd erinnert, wie es ist, als junger Mensch im Sturm der Angst zu stehen. Ebensowenig wie stürmisches Wetter ein einmaliges Phänomen ist, verschwinden die Stürme aus unserem Leben. Doch was tun, wenn es in unserem Leben stürmt? Innehalten? Weitergehen? Wegrennen? Wohin? In den viereinhalb Monaten der Erarbeitung von Chaos Kompass diskutierten die Performenden intensiv und physisch engagiert die Fragen: Wie will ich leben? Wo gehöre ich hin? Was soll aus mir werden?
Die Produktion legt ein flottes Tempo vor, mit farbenfrohem Lichtwechsel, dynamischer, popsonglastiger Musik, auffälligen Glitter-Kostümen und diversen Szenen: Soli, Duette, Trios, Gruppenchoreografien. Eine große, weiße, rundgeformte Skulptur – in meinen Augen eine Metapher für den individuellen und inneren Kompass – prägt prominent die Bühne. Die Performenden tanzen mit ihr, bewegen sie immer wieder. Zwar weckt die Vielzahl der in schneller Folge präsentierten knappen Szenen in mir das Gefühl, dass dieses Stück keine klare Richtung verfolgt, doch ich spüre die Freude und Power, die die Künstler:innen aus ihm ziehen.
Im anschließenden Publikumsgespräch erläutert Bahar Meriç, dass sie das Thema Selbstorientierung wählte, weil Orientierung eine Konstante unseres Lebens ist. Sie erinnert an ihre Jugend als eine Zeit, in der diese Frage eine immens wichtige ist. Daher rührt auch ihr Interesse an der Arbeit mit jungen Menschen. Deren Ehrlichkeit im Umgang mit sich selbst ist ihr Inspiration.
Die Transparenz der Performenden scheint in ihren Antworten in der Gesprächsrunde auf. Sie strahlen Selbstbewusstsein aus, und Stolz auf die Produktion, die sie gemeinsam realisierten. Gefragt, was sie aus dem Prozess für sich mitnehmen, betonen mehrere die profunde Wirkung, die dieser auf sie hatte. Eine Mitwirkende schildert, wie sie ihren eigenen Orientierungssinn entdeckte, während sie früher blind die gesellschaftlichen Erwartungen erfüllte, ohne sie je zu hinterfragen. Jetzt könnte sie ihr Leben, ebenso wie die Performance, selbst gestalten, exakt so, wie sie sie haben möchte.
Ein Zuschauer fragt, welche Botschaft das Stück vermitteln möchte. Die Frage geht zurück an ihn. Er sagt, er habe nicht verstanden, worum es in diesem Werk geht. Gleichwohl ließe sich aus dem Titel eine Aussage ableiten. Ein Mitglied des Ensembles weist darauf hin, dass es wichtig war, gemeinsam etwas zu schaffen. Diese Antwort bestätigt meinen Eindruck, dass die wahre Bedeutung dieser Inszenierung nicht in der Interpretation durch das Publikum liegt, sondern in ihrer Wirkung auf die an ihr Beteiligten. Ich gehe, erfüllt von der Hoffnung, dass das Erlernen einer Praxis des Handelns gemäß dem inneren Kompass diesen jungen Kunstschaffenden auch künftig helfen wird, durch die wechselhaften Wetter in den Zyklen des Lebens zu navigieren.
Übersetzung aus dem Englischen: Lilian Astrid Geese
Chaos Kompass von Bahar Meriç feierte am 9. April 2024 im Theater an der Parkaue Premiere, mit weiteren Vorstellungen am 16. und 17. Juni 2024. Tickets hier.
