REMACHINE, Jefta Van Dinther ©Jubal Battisti

Betr.: Revolution

REMACHINE von Jefta van Dinther, vom 29. Februar bis 3. März 2024 im HAU Hebbel am Ufer (HAU1). Ein Plädoyer für das Mystische und Poetische im Mechanischen.

Ein riesige, sich langsam drehende Scheibe füllt die komplette Bühne. An ihren Rändern sitzend, in endloses Kreisen transportiert, stemmen sich fünf Performende steif gegen die konstante Rotation. Kaum beleuchtet, erscheint die sanfte, gläserne Bewegung der Plattform eher düster als heiter. Vor diesem Hintergrund werden kleine, überraschende Körperticks und Zuckungen zum notorisch-rebellischen Akt.

Die Performenden beginnen zu singen. Mit kräftiger Stimme wollen sie der unwiderstehlich konsistenten Maschine die Kontrolle über den Raum entringen. Mit Händen und Ellbogen bearbeiten sie die Oberfläche der sich drehenden Ebene, als grüben sie in der Erde oder kneteten Teig. Ihre irdische Kleidung steht im krassen Gegensatz zur brutalistischen, gänzlich entleerten Landschaft: An den Wänden nichts außer einer einsamen Reihe kalter Lichter. Wie Unschuldige, die in ein stählernes Metropolis geworfen wurden, müssen sie neue Regeln lernen und sich härten gegen ein unbekanntes, ungastliches Terrain.

Anpassung oder Widerstand? Lässt du dich passiv mittreiben? Oder wehrst du dich, damit du deinen Platz nicht verlierst? Erkunde die Physik der Scheibe: Sie dreht sich scheinbar schneller an den Rändern, gerade Linien wirken komplex und ermüden dich körperlich.

Die Performenden ziehen Kabel aus der Scheibenmitte, binden sie um ihre Taillen und lehnen sich so  befestigt nach außen, weg vom Zentrum der Rotation. Ein Paradoxon: Die Kabel binden sie und befreien sie zugleich. Die Performenden können sich so in größerer Distanz von einem Punkt halten, von dem sie ganz und gar abhängig sind. Das Kabel als Nabelschnur. Oder als Ladekabel, wenn dein Handyakku nur noch 7 Prozent hat, aber du losmusst.

In der Weite dieser gedämpften, unterirdischen Welt erhalten selbst die einfachsten Bilder Raum und Zeit, sich zu etwas Beeindruckendem zu entwickeln. Im Vorbeifahren aufscheinende Autolichter. LEDs blinken Alarm auf einem Motherboard. Schlaffe Körper werden über rutschiges Pflaster gezerrt. Ein Ritual, vollführt in der Hoffnung, dass die Götter auch morgen wieder die Sonne über den Himmel ziehen werden.

Unterlegt wird das alles von drängenden, klagenden Stimmen.  Stimmen aus Sand geformt. Stimmen, die auf rhythmisches, industrielle Klirren bauen, und zugleich dagegen ansingen. Ein Schwanengesang? Ein Gebet? Ein Ruf zu den Waffen?

Es gibt Dinge, die mir unmittelbarer Menschlichkeit vermitteln als singende Stimmen. Doch dann realisiere ich plötzlich die Mikrofone und Lautsprecher, die sie verstärken.  Eine Suche nach Nähe, um direkt von der Luft erfasst zu werden, die angestrengte Lungen vibrieren lässt. Bühnenwände und Aufbauten stehen völlig frei und sichtbar. Was zunächst den Raum erweiterte, wird nun zum Container, zur Einhegung von allen Seiten. Die Drehscheibe scheint über die Grenzen des Theaters hinauszureichen. Sie zieht die ganze Stadt in ihren Orbit.

Das berührt mich am meisten bei REMACHINE: Meine Aufmerksamkeit wird auf etwas inhärent Humanes gelenkt, das sich in einer Welt von Blaulicht und Schwarzglas schwimmend findet. Die Stimme wird zum ergreifenden Symbol des fragilen Widerstands, dessen Echo noch lange nach dem Ende der Performance nachhallt. Wie jede gute Science Fiction hinterlässt auch sie in mir Melancholie und Hoffnung.  

Übersetzung aus dem Englischen: Lilian Astrid Geese


REMACHINE von Jefta van Dinther, zu sehen im HAU Hebbel am Ufer (HAU1) vom 29. Februar bis 3. März 2024.