„Fluid Resilience“, Shannon Cooney ©Yvonne Hachkowski

Im Wesentlichen fließend

Im Rahmen von OPEN SPACES der Tanzfabrik Berlin zeigt die in Berlin lebende, kanadische Choreografin Shannon Cooney mit „Fluid Resilience“ einen Zugang zum Festivalmotto: How to get in Touch with…

Drei Tänzer*innen auf weißem Tanzteppich im offenen Studio, Stühle für das Publikum an allen vier Bühnenseiten platziert, dezentrale Blickachsen, geöffnete Fenster, Kostüme in gedeckten Farben und mit klaren Linien; irgendwo in diesem horizontalen Setting das schlichte Bühnenbild: ein chromfarbenes Behältnis, da herum eine lose Ansammlung von leeren Gläsern und eine Wasserkaraffe vor Mikrophonen. Shannon Cooney, Jared Gradinger und Sigal Zouk lassen sich nieder, gießen Wasser in drei Gläser – akustisch verstärkt dringt das Sprudeln und Überlaufen bis an den Rand der Bühne, sie führen die Gläser mit sehr viel Bedacht zu ihren Mündern, schauen einander mit ruhigen und offenen Blicken in die Augen, trinken. 

„Fluid Resilience“ ist eine Auseinandersetzung der Choreografin Shannon Cooney mit Wasser, nicht nur als Element und Lebensgrundlage, sondern auch als sozio-ökologische Resilienz, das heißt, der Fähigkeit zur psychischen Widerstandskraft, Krisenbewältigung als Strategie, um über die Vergewisserung der eigenen Ressourcen zu Handlungsmacht (zurück) zu kommen. Choreografie und Bewegungswissen treffen in ihrer Arbeit auch auf eine langjährige Forschung und Lehrpraxis in Craniosacralen Prinzipien. Vereinfacht gesagt, gehen diese von der Erkenntnis aus, dass die sogenannte Cerebrospinalflüssigkeit im Gehirn und Rückenmark rhythmisch pulsiert, und sich diese Bewegung im gesamten Organismus fortsetzt und ihm lebenswichtige Impulse vermittelt. Was in diesen 60 Minuten der Aufführung passiert, lässt sich nicht leicht in einen Text übersetzen, aber ich gehe davon aus, dass es meine Cerebrospinalflüssigkeit auf sehr unaufgeregte Weise in Schwingungen versetzt hat… 

Versuch einer Beschreibung: drei vereinzelte und doch stets miteinander verbundene Körper bewegen sich in einer langsamen Diagonale durch den Raum, in kaum merklich sich verändernden Posen, die keine Deutung zulassen; ihre Gliedmaßen scheinen zwischendurch mit dem Boden zu verschmelzen, fluide Skulpturen, deren Bewegungen keiner Narration, Wertung, Repräsentation zugrunde zu liegen scheinen (außer, dass sie erkennbar von somatischer Praxis informiert sind). Nicht wirklich in sich gekehrt und nicht ganz im Außen, beieinander, jede*r bei sich, schwingen sie sich zu dynamischeren Sequenzen auf, halten wieder inne, rudern mit den Armen, werden wieder ruhiger, fließen subtil durch verschiedene Bewusstseinszustände und ich schweife ab, prüfe meine Gedanken auf ihre möglichen Aggregatszustände und glaube, dass das Lichtdesign (Emese Csornai) daran auch keinen geringen Anteil hat. In hellen Momenten denk’ ich mir den Tanzboden als riesige Eisscholle, dann wiederum kann ich den Tropfen auf dem Teppich beim Verdunsten zusehen – gedehnte Zeit, latente Tagträume, draußen ist es nasskalt, hier drinnen warmer Sommerregen.  

„Fluid Resilience“ lässt sich darum vielleicht als Gelegenheit des angenehmen Abschweifens ergreifen, auch wenn ich zugeben muss, dass ich neben der ganzen Affirmation und Hochachtung vor all der Körperpraxis (meine Gehirn-Rückenmarks-Flüssigkeit bedankt sich!) zwischenzeitlich auch stark mit der Infragestellung dieser Situation als theatrale Verabredung beschäftigt bin. Wie lassen sich solche Praktiken eigentlich einem nicht-geschulten Publikum vermitteln und braucht es das Format Bühne dafür überhaupt? Zudem schlägt es in meiner nach Narrativen und Bedeutung suchenden anderen Hirnhälfte hohe Wellen. Wenn wir uns 2020 mit Wasser und Widerstand auf der Bühne auseinandersetzen, können wir die politische Dimension, die Ausbeutung dieser Ressource, die damit verbundenen Kriege, die drohende ökologische Katastrophe so somatisch-unaufgeregt dahinplätschern lassen?

Diese Grundsatzfragen sollen das Bewegungswissen, die immateriellen politischen Körperkonzepte nicht hinwegspülen – es ist nur eine naiv-aufrichtig gemeinte Frage oder um das Motto des Festivals aufzugreifen: How to get in Touch with (the Rest of the World)?

Immerhin glaube ich doch noch an Synchronisierungsprozesse und an Resonanz und die Resilienz von Bewegung und Bewegtwerden. Selbst die Regentropfen scheinen bedachter auf die Scheiben des Uferstudio 5 einzuprasseln. Wenn nach 45 Minuten die Tür zum Hof geöffnet wird, dringt der kalte Luftstrom sehr angenehm aus der Ferne in den Raum, eine Krähe untermalt mit ihren Schreien die Bewegungen der Tänzer*innen, als sei sie extra in diesem Moment vorbeigeflogen. Irgendwie scheint wiederum alles auch okay zu sein, dieses in einem größeren, harmonischen Ganzen aufgehen zu können. Das heißt, wenn ich meine Zweifel angesichts der Vermittlung einmal beiseite packe, fließt die Zeit wirklich schön dahin. Die Poesie des Nebeneinanders, des Beieinanderseins, die tröstliche Auffassung, die Cooney im Abendzettel dieser Arbeit voranstellt: „Wir sind im Wesentlichen Wasser. Wasser ist wesentlich.“ 


Das Festival OPEN SPACES – How to get in Touch with… läuft noch bis zum 8. November 2020 in der Tanzfabrik Berlin Wedding (Uferstudios).