„Pieces and Elements“ (Fragment #1), Isabelle Schad. Open Air, Globe Berlin im Juni 2021 ©Dieter Hartwig

Der Weg nach draußen

Mit „Pieces and Elements“ (Fragment #1) und der Vorpremiere von „FUR“ präsentiert Isabelle Schad vom 17.-19. Juni 2021 einen Doppelabend unter freiem Himmel im Charlottenburger Globe Theater. Als eine der ersten Liveperformances ist die Double Bill für die Künstler*innen und Zuschauenden ein kleines Highlight.

Der Drang rauszugehen, um weitermachen zu können, hat Isabelle Schad das letzte Jahr über begleitet und auch ihre künstlerische Praxis geprägt. Ihre Open Practice Sessions (OPS) hatte sie seit dem zweiten Lockdown im November 2020 in den Humboldthain verlegt und unter Einhaltung der Hygienebestimmungen war es ihr so mit einer kleinen Gruppe von Tänzer*innen möglich, gemeinsam weiter zu praktizieren. Dieser bewusste Schritt nach draußen als Strategie, um nicht in ein echtes Loch zu fallen, war ein wichtiger Impuls, wie die Tanzpreisträgerin auf der Homepage der OPS schreibt. 

Sich mit dem zu arrangieren, was noch möglich ist und dabei zu spekulieren, was später hoffentlich realisierbar ist, war wohl das täglich Brot der meisten Kunst- und Kulturschaffenden in dieser ersten Jahreshälfte. Im Falle von Isabelle Schad ging die Rechnung bezüglich der angesetzten Juni-Vorstellungen auf. Mit Open Air Veranstaltungen zu planen und die Stücke entsprechend anzupassen versprach die besten Aussichten, wie sie selbst rückblickend sagt. So halbierte sie beispielsweise die Besetzung von „Pieces and Elements“ von ursprünglich zwölf auf sechs Tänzer*innen. Im Original war die Arbeit, welche als zweiter Teil ihrer Trilogie der Frage nachgeht, wie aus Einzelkörpern Kollektive entstehen können, eine Stunde lang, doch auch der 25-minütige Ausschnitt zieht das Publikum bereits in eine faszinierende Welt der Zeitlosigkeit.

Die Tänzer*innen (Jozefien Beckers, Frederike Dofn, Josephine Findeisen, Przemek Kaminski, Manuel Lindner, Claudia Tomas) treten zunächst fast unbemerkt aus den, Corona-bedingt lückenhaften, Stuhlreihen hervor und schreiten auf die hölzerne Rundbühne zu. Die kreisförmigen, repetitiven Bewegungen der Schultern mit ausgestreckten und nach oben erhobenen Armen sowie verschränkten Händen werden erst nach und nach von minimalen Variationen durchsetzt. Unsere Aufmerksamkeit, um die in Schads Choreografien typische Detailveränderung nicht zu verpassen, ist im Outdoor-Setting, mit Sportplatz in Hörweite und Schwalben im Tiefflug, durchaus gefordert. Doch der Fluss der Bewegungen nimmt das betrachtende Auge immer wieder mühelos mit. Zumal das Stück selbst die Verbindung zur Natur sucht und vorhandene Elemente in Bezug setzt. Wie sich daraus ein gemeinsamer Rhythmus ergeben kann, zeigen die Tänzer*innen auf der Bühne mit ihren organisch runden Bewegungen des Oberkörpers und der Arme, ohne dabei unbedingt Synchronität finden zu müssen. 

Dass es auch um das Erforschen zeitlicher Dimensionen geht, verdeutlichen die schwingenden Hin-und-Her-Bewegungen der später angewinkelten Arme. Mittels des Kontrasts von heller Haut und schwarzen Shirts vor einem schwarzen Moltonhintergrund, sehen wir vor allem sich bewegende Gliedmaßen – zumal uns die Tänzer*innen zu Beginn des Ausschnitts vor allem den Rücken zugewandt haben. Die rotierenden Arme erzeugen Assoziationen von oszillierenden Pendeln bis zu Rotorblättern und es drängt sich die Frage auf, ob dieses Hin und Her ein Zögern oder die Unklarheit ist, wer wann wie weit gehen möchte oder kann. Auch die räumliche Entwicklung ist von einem vor und zurück geprägt und so scheint sich das Gesamtsystem, inklusive wippender Zuschauer*innen-Köpfe, tatsächlich lange erstmal einpendeln zu müssen. Doch so subtil wie sich Veränderungsimpulse in Schads Arbeiten teils einschleichen können, genauso zielsicher kann ein*e Tänzer*in den Bewegungsmodus schlagartig ändern und den Anderen diesen Anstoß weitergeben. So werden die rhythmischen Bewegungschöre tatsächlich nicht überspannt, sondern entwickeln sich, zur rechten Zeit von morphenden Impulsen getragen, weiter.

Foto: „Pieces and Elements“, Isabelle Schad ©Dieter Hartwig

Ob oder wie die besondere Ästhetik von „Pieces and Elements“ außerhalb der Blackbox, für welche das Werk konzipiert wurde, funktioniert, war eine spannende Frage, mit der sich die Choreografin im Adaptionsprozess beschäftigte. Welche visuellen Effekte auf der Sommerbühne überhaupt möglich sind, war entsprechend ein Kriterium bei der Wahl des Ausschnitts. Die Bühnensituation stellt sich, wie der Name des Globe Theaters mit Verweis auf Shakespearesche Traditionen vermuten lässt, als runde Bretterbühne dar. Der teils rohe und eigensinnige Charakter dieses Ortes macht nicht nur seinen Sommerabendcharme aus, er bietet auch Freiräume, um die Dinge selbst in die Hand zu nehmen, wie Isabelle Schad im Gespräch ausführt. Mit ihrem Team hatte sie eine Woche lang vor Ort proben können, bedingt durch die hochsommerlichen Temperaturen vor allem frühmorgens und dank Kühlung mittels Wasserschlauch. Auch zu Vorstellungsbeginn um 19.30 Uhr stand für viele Zuschauende zunächst die Frage im Vordergrund, ob sie einen Schattenplatz ergattern würden. Wie Licht und Schatten, aber auch der Raum selbst, den Vorstellungsbesuch prägen, ist also durchaus anders als beim Original zwischen vier schwarzen Wänden. Dass am Ende des Abends bei dem faszinierenden Soloportrait „FUR“ tatsächlich zwei Scheinwerfer an sind, wirkt eher nostalgisch als notwendig in diesem Kontext. (Minimale Bewegungen: Isabelle Schads „FUR“, Katja Vaghi über die Showings mit Aya Toraiwa, 02.08.2020)

Alles in allem ist dieser gelungene Doppelabend, der für Viele sicherlich die erste Live-Veranstaltung seit vielen Monaten ist, gerade auch ob der leiblichen Kopräsenz ein echtes Highlight. Die Wege, die uns nach draußen führen, lohnen in jedem Falle, wenn sie von herausragenden Künstlerinnen wie Isabelle Schad gestaltet werden.

Die Double Bill „Pieces and Elements“ (Fragment #1) und „FUR“ (Vor-Premiere) ist noch heute Abend, am 19. Juni 2021 um 19.30 Uhr im Globe Theater zu sehen. 

Die Premiere von „FUR“ findet am 22. Juli 2021 in den Sophiensælen statt. Als Einladung zum gemeinsamen Rausgehen im Kontext ihrer Open Practice Sessions plant Isabelle Schad vom 6. bis 8. August 2021 ein kleines Outdoor-Festival im Humboldthain und der Tanzhalle Wiesenburg. Weitere Infos folgen bald auf der Webseite der Künstlerin https://isabelle-schad.net.