„La Fuite“, Olivier Meyrou ©Pierre Planchenault

Der Humor des Scheiterns

Im Rahmen der Potsdamer Tanztage 2021 wurde am 24. Juni das akrobatische Solo “La Fuite” im Brandenburgischen Landemuseum für moderne Kunst in Cottbus open air aufgeführt. Das Stück der Pariser Künstler Olivier Meyrou und Matias Pilet erfindet den Charme vom Slapstick-Komik der Stummfilme für die Zirkusbühne neu – bis zum 27. Juni in Potsdam zu erleben.

Warum können wir lachen, wenn jemandem körperlich schlimme Sachen widerfahren? Was ist der Reiz an körperbetonter Slapstick-Komödie? Handelt es sich dabei um ein hysterisches Lachen aufgrund der Entlastung, die wir empfinden, nicht selbst der Protagonist (Performance: Matias Pilet) von schlechten Umständen zu sein? Oder um die Empathie für den Leidenden, weil wir den Schmerz des Scheiterns selbst so gut kennen? Vielleicht gibt es auch eine Art Bewunderung dafür, dass der Protagonist trotz der ganzen Katastrophen immer wieder aufsteht und weitermacht. Vermutlich alles davon. Beim Slapstick geht es aber auch um das große Potenzial und die Resilienz des Körpers, der sich in endlos absurden Situationen und Bewegungen wiederfindet und trotz seiner Zerbrechlichkeit alles verkraftet.

Es ist der Humor des Körpers, den der Theater- und Filmregisseur Olivier Meyrou mit “La Fuite” (dt.: die Flucht) von alten Stummfilmzeiten übernimmt und in Form von Neuem Zirkus in Szene setzt. Seine Vorgänger wie Charlie Chaplin oder Buster Keaton haben sich dem Zeitgeist passend mit den Anpassungsschwierigkeiten an das moderne Leben beschäftigt. Bei Meyrous Protagonist wissen wir nicht genau, in welcher Zeit wir uns befinden. Die bescheidene Bühne und die wenigen Requisiten verraten uns wenig. Auf der Bühne am Eingang des industriellen Backsteinbaus, die von Zuschauenden aller Generationen umgeben ist, begegnet uns erstmal nur ein Einmannzelt. Nachdem Matias Pilet auftritt, entsteht durch seine Pantomimefähigkeiten und die atmosphärischen Klänge langsam eine imaginäre Landschaft um ihn herum. Er ist ein Nomade, ein Wanderer auf der Suche nach Freiheit, der verloren zu gehen scheint mittendrin in einer chaotischen Welt. Die nostalgische Klaviermusik, die uns an die Stummfilmzeiten erinnert, hebt die Naivität dieses Anti-Helden hervor. Er versucht, die kleinen und großen Hürden und Hindernisse des Alltags aus dem Weg zu räumen. Mal bekämpft er schlechte Wetterbedingungen, mal versucht er einen verbotenen Ort zu betreten. Das Leben macht es ihm nicht einfach und fordert ihn ohne Pause heraus, testet seine Widerstandsfähigkeit und seine Würde als Mensch. Er rennt aber immer weiter. Sein Zelt scheint ein kleines zu Hause zu sein, das ihn nicht ganz schützen kann. In einem Highlight der Show wird es zur Verlängerung seines Körpers, zu einem lebendigen tierhaften Wesen. Seine akrobatischen Drehungen und Sprünge machen diesen Kampf ums Leben sehr fassbar. Jedes Mal wenn er sich in der Luft dreht und auf den Boden fällt, spüren wir den Schmerz des Verlierens und den Sieg des Wiederaufstehens zugleich.

Das kann alles symbolisch gelesen werden. Als die Tragikomik der menschlichen Existenz, als die Freiheit und die Last der Zuhauselosigkeit. Aber wie immer bei gutem Slapstick funktioniert Meyrous Geschichte und Pilets körperlicher Humor auch auf einfachster visueller Ebene, weil es lustig ist und dabei mit den immensen Möglichkeiten der Körperbeherrschung spielt. Buster Keaton hat einmal gesagt, dass ein Komiker lustige Dinge macht, während ein ein guter Komiker Dinge lustig macht. Der zeitlose Körperhumor von “La Fuite” ist auf der richtigen Seite dieser Linie und das macht den Nachmittag in Cottbus zu einem Vergnügen für die Zuschauenden, unabhängig vom Alter oder kulturellem Hintergrund.


„La Fuite“ (4+, Dauer: 40 Minuten) ist im Rahmen der Potsdamer Tanztage 2021 dieses Wochenende in Potsdam zu sehen: Am Samstag, 26. Juni um 16.00 Uhr, Bürgerhaus am Schlaatz und am Sonntag, 27. Juni um 15.00 Uhr, fabrik Potsdam. Der Eintritt ist frei.