„Klavierstück“, Felix M. Ott © Antal_Montag Modus

Und das Klavier bleibt unversehrt!

In seiner neusten Produktion „Klavierstück“ zerlegt Felix Mathias Ott auf virtuose Weiseüberhöhte Erwartungen an Kunst. Ein genial verschmitzter und schweißtreibender40-Minüter im Rahmen der diesjährig dritten Ausgabe der Reihe „Open Spaces“ ander Tanzfabrik.

Um dem Uferstudio1 die Anmut eines Konzertsaals zu verleihen, braucht es nur wenige Kniffe. Die allerdings sind gekonnt, zumindest bei Felix Mathias Ott. Für seine neuste Produktion „Klavierstück“ hat der Tänzerchoreograf und gelernte Szenenbildner den schnöden Tanzboden aus der ehemaligen BVG-Halle verbannt und die Publikumsperspektive um 180 Grad gedreht. Will heißen, in dem beckenartigen Aufführungsraum des Studios glänzt ein bisher nur selten freigelegter Parkettboden; eine Art metaphorischer Vorbote für das Stück, der den Zuschauer*innenblick nicht in intellektuelle Tiefen hinabsteigen lassen will, sondern uns mit subtilem Humor aufs Glatteis eines vermeintlich höheren künstlerischen Sinns führt.*

Entgleisende Hochkultur

Auf der halbdunklen Bühne steht ein schwarzes Klavier wie in einem verlassenen Konzertsaal. Die linke Seite des Instruments ist aufgebockt so als hätte es jemand wegtransportieren oder abstellen wollen und wäre bei diesem Vorhaben unterbrochen worden. Das wertvolle Alltagsobjekt, dessen räumliche Position jeder Alltäglichkeit entgleitet, wirkt vergessen, ein wenig wie dem Zerfall preisgegeben.

Felix Mathias Ott, aka ein unbestimmter Künstler, tritt bestimmten Schrittes an das Klavier. Er trägt schwarze Schuhe und weiße Socken. Seine Hose und das enganliegende T-Shirt setzen diesen Farbwechselrhythmus fort. Mit einer gezielten Armbewegung und im Ausfallschritt hebt Ott die aufgebockte Seite des Klaviers an und zieht mit konzentrierter Langsamkeit einen Klavierhocker darunter hervor. Das ist der Auftakt zu einem tänzerischen Balanceakt zwischen einem Klavier und einem menschlichen Körper, aber auch zu einer Performance aus fragmentarisch aneinandergereihten Szenen voller Anfänge und unerfüllter Erwartungen.

Virtuoses Non-Sense-Unterfangen

Ott sitzt in aufrechter Sitzhaltung vor dem Klavier. Mit seinen Händen greift er synchron zwei Knöpfe, die sich rechts und links vom Klavierhocker befinden und dreht mit mechanisch wirkenden Handbewegungen daran. Doch die Handlung läuft, ähnlich wie bei „4´33“ von John Cage, ins Leere und die Höhe des Hockers verändert sich nicht. Stattdessen gehen am anderen Ende des Studios gleichzeitig drei Vorhänge auf und bilden über eine enorme Fensterfront ein Stück Alltagsrealität ab.

Der Ankündigungstext zur Produktion verrät, dass am Anfang von Otts künstlerischer Recherche eine jahrzehntelang unbeachtet gebliebene Tonbandaufnahme stand, die zufällig im Nachlass des Dadaisten Richard Huelsenbeck entdeckt wurde. Zu hören sei auf dieser, wie der Künstler Rafael Montañez Ortiz ein Piano zertrümmert. Was sich bei Ortiz als ein gewaltvoller künstlerischer Akt beschreiben lässt, verkehrt Ott ins Gegenteil. Die brachiale Zerstörung wird bei ihm durch einen beinahe zärtlichen Umgang mit dem Klavier ersetzt, bleibt aber trotzdem schweißtreibend.

In einer präzisen Choreografie legt er zunächst Stück für Stück das Innere des Klaviers frei. Daraus entsteht auf dem Bühnenboden parallel zum Geschehen in einem Lichtrahmen eine chronologisch geordnete Collage aus Klavierelementen, eine Art objéts trouvés. Den Hauptteil des Stücks allerdings macht ein akrobatisch ausgeführtes Duett mit dem Klavier aus. Hier ist ein gestaltwandlerisches Bewegungselement wiedererkennbar, das Ott bereits in seinem Duett „M.A.R.S.“ für zwei menschliche Körper verwendete. In einer Raupenketten-Rollbewegung verschiebt er das massive Instrument von der rechten auf die linke Bühnenseite. Eine gegenseitige und poröse Abhängigkeit von Objekt und menschlichem Körper wird erkennbar.

Mit dieser fragilen Konstruktion provoziert der Performer Kippmomente und erzeugt darüber Spannung, die im Publikum einen sicht- und hörbaren Widerhall findet. Der kleinste Fehler könnte hier zum Zusammenbruch und sinnbildlich zur Zerstörung des Klaviers (vice versa einer Verletzung des Performers) führen. Aber Ott beherrscht das Spiel mit der Suspense und transformiert die reale Ebene der Zerstörung wie sie bei Ortiz oder auch verschiedenen Fluxuskünstlern zum Tragen kam auf eine fiktive Ebene und damit in die Imagination des Publikums.

So führt Ott die herkömmliche Bedeutung und Funktion eines Alltagsgegenstands ad absurdum und die Zuschauer*innen inklusive ihrer Erwartungen mit herrlich diebischen Humor an der Nase herum. Das Klavierspiel wird wortwörtlich zum Spiel mit dem Klavier, einem Symbol für bürgerliche Hochkultur und hochpreisige Konsumgüter. Auch wenn immer wieder Handlungen begonnen, aber nie zu Ende geführt werden, passiert etwas: Innerhalb der 40min Aufführungsdauer wird das Statusobjekt Klavier in ein Kunstobjekt verwandelt: Ott hat die zuvor deinstallierten Teile des Klaviers in einer genau durchkomponierten Bewegungsabfolge wieder an dieses anmontiert. Das Ergebnis lässt einen allerdings vermuten, dass der hier entstandenen abstrakt-verspielten Skulptur mit grotesker Präsenz und traumgleich entrücktem Zeichencharakter ein aleatorisches Verfahren zugrunde liegt. Am Ende der Performance steht Ott mit dem Rücken zum Publikum vor seinem Kunst-Bau-Werk und schaut es an. Wenn das mal nicht der Anfang vom Ende eines virtuosen Stücks Anti-Kunst ist. Das alles Kunst und jede*r ein Künstler*in sein kann, stimmt mit Blick auf diese Performance zum Glück nicht.

*Normalerweise sitzt das Publikum auf Stufen, die hinunter in ein als Bühne genutztes ehemaliges Senkbecken führen. Von der stattlichen Höhe des Raumes und der beachtlichen Fensterfront wird die Zuschauer*innen-Wahrnehmung daher eher weggelenkt.