Im Rahmen von Open Spaces #3-2018 in der Tanzfabrik zeigt Ivana Müller die Berlin-Premiere ihres Stücks CONVERSATIONS OUT OF PLACE und entwirft einen hyperrealen Raum in dem dieLinearität von Zeit aufgehoben zu sein scheint.
Eine große Pflanze steckt in einem Haufen Erde, umhüllt von Nebelschwaden und Stille, trübes Licht wirft ein Schattenmuster in einen schwarzen kahlen Raum. Hier wandern zwei Frauen und zwei Männer 70 Minuten lang durch eine imaginäre Landschaft, die anfangs noch schön und harmlos scheint, und irgendwann mehr und mehr zur Bedrohung wird.
Ausgerüstet mit Outdoorkleidung und Rucksäcken blicken die Vier in die Ferne, bewundern die Natur, vielleicht befinden sie sich in den Bergen. Es entwickelt sich zwischen ihnen eine permanente Konversation über alles und nichts, die für die Dauer der Vorstellung kein Ende mehr nimmt. It’s beautiful here, isn’t it? Im Kontrast zum schnell-lapidaren Gesprächsstil stehen die extrem langsam ausgeführten alltäglichen Gehbewegungen. Jeder einzelne Schritt, jede kleine Handbewegung, jedes Hinsetzen auf den Boden, Ausziehens des Pullovers geschieht im Zeitlupentempo und wird in dieser Qualität beeindruckend konsequent beibehalten. Zugleich scheint die Zeit zu rasen, Monate und Jahre vergehen.
Ein paar Tage später: Der Blick der Performer*innen bleibt dauerhaft in die imaginäre Ferne gerichtet, sie schauen sich während den nicht abbrechenden Gesprächen nie in die Augen. In ihren Dialogen entwickelt sich manchmal eine zynische Komik, oft plätschern sie dahin, es werden Erinnerungen, Anekdoten und Witze erzählt, manchmal herrscht Langeweile, manchmal spielen sie Spiele wie „Ich packe meinen Koffer…“ Ok let’s play!
Ein paar Wochen später:Sie wandern immer noch. Die Slowmotion-Bewegungen, unklar-absurden Gesprächsthemen und permanenten Blicke in die Ferne sorgen für eine entrückte Atmosphäre im Raum: Wo sind wir und wo soll es hingehen, gibt es ein Ziel? Und: irgendetwas stimmt hier nicht.
Erst unmerklich, dann immer deutlicher breitet sich wie eine Verheißung eine Wasserlache am Boden aus, die an Regen- oder Urinpfützen erinnert. Die Performer*innen laufen durch die Pfütze, setzen sich versehentlich-beiläufig hinein, haben Wasserspuren an der Kleidung und hinterlassen selbst mehr und mehr Spuren: Ausgepackte Schlafsäcke und Thermoskannen, Rucksäcke und Teile von Kleidung besiedeln den Boden, dazwischen die bedrohlich voranschreitende Pfütze.
Ein paar Jahre später: Auch Jahre später sind diese Menschen immer noch gemeinsam unterwegs. Es hat auch etwas zermürbendes, ihnen dabei zuzusehen, wie sie jahrelang in der Natur wandern, scheinbar ohne Ziel, und immer wieder die alltäglichen Gespräche, die verträumten Blicke, die Langsamkeit in jeglicher Bewegung. Wir befinden uns scheinbar in einer Unendlichkeitsschleife, wie ein zäher Kaugummi zieht sich das Geschehen hin. Auch die Bezuglosigkeit unter den Performer*innen, die mehr und mehr aneinander vorbeireden und sich eben nie anschauen hinterlässt einen leisen Schauder.
Viele viele Jahre später: Wir sind immer noch gefangen in der selben Szenerie, an einem Ort, an dem die lineare Beschaffenheit von Zeit keine Gültigkeit mehr hat. Die Stimmung schwankt zwischen beklemmend zäh und absurd-komisch. Einer der Performer spricht von der Phantasie, nicht wieder zurückzukehren (It’s romantic in a way). Irgendwann ist eine der beiden Frauen nicht mehr da, doch die verbliebenen Drei können sich schon kaum noch an sie erinnern (Do you remember Anne?), die Zeit scheint auseinander zu kippen.
Und erneut bricht ein neuer Morgen an, das endlose Wanderkarussell dreht sich weiter: Good Morning. The view is beautiful today.