„Blind Date“, Ciupke, Dobricic, Layes, Orhon, Vinovrški, Walkey ©Dajana Lothert

Stimmen im Dunkel

„Blind Date“, erstaufgeführt am 1. November im Rahmen von OPEN SPACES in der Tanzfabrik, wurde kollektiv von Ayşe Orhon, Christina Ciupke, Clément Layes, Igor Dobriči, Jasna L. Vinovrški und Litó Walkey geskriptet und performt.

Sechs, sehr unterschiedliche, leere Stühle befinden sich auf der Bühne, von denen einer so wunderschön gearbeitet ist, dass ich mich in ihn verliebe. Sie sind zu einer geraden Linie aufgestellt, die sich über die Breite des weiten und großzügigen Raums erstreckt und uns, das Publikum, direkt anschaut. Wir hingegen bekommen keine Stühle für uns. Stattdessen werden für uns dünne, schwarze Kissen in zwei Reihen auf den Plattformen ausgegeben. Die Lichter gehen langsam aus.

Ich habe das Programm bereits gelesen, und ich weiß, dass diese sechs Performer*innen über einige Monate hinweg 25 Eins-zu-Eins-Begegnungen miteinander hatten, und dass diese Performance, die wir nun sehen werden, „gewebt wurde aus der fragilen Substanz all dieser unwahrscheinlichen Begegnungen.“ Ich bin fasziniert von dem Schaffensprozess hinter der Arbeit, der auf Intimität und Zufall zu bauen scheint, und ich bin neugierig, wie die Gruppe ihre privaten Begegnungen in eine Öffentlichkeit übersetzen wird. Viel später entdecke ich, dass jede Performance anders ist: Die Gruppe würfelt, um zu entscheiden, welche Geschichte welcher Person sie an diesem Abend erzählen werden. 

Die Performer*innen treten in die Dunkelheit, leicht sichtbar aufgrund eines sanften Lichts, das von den Fenstern hinter uns einfällt. Jede*r von ihnen hat diese raffinierten kleinen Mikrophone, die nahezu unsichtbar neben ihren Mündern schweben. Nacheinander beginnen sie zu sprechen, manchmal allein und manchmal zusammen, bis ihre Stimmen langsam ihren Rhythmus finden und den dunklen Raum füllen. Die Komposition ist verschlungen und recht schön, erzeugt aus Worten und Phrasen, alle auf Englisch, von unterschiedlichem poetischen Inhalt. An diesem speziellen Abend hören wir von einem kleinen blauen Buch, dem Mond, einer Landschaft, einem Schloss, Bäumen, Wasser, Kurator*innen und DJs. Bestimmte Wörter werden von den Performer*innen aufgegriffen und wiederholt und wiederholt, langsam gesprochen und reguliert – und dann fallengelassen. Eine Beinahe-Geschichte wird vorgestellt, Pronomen wechseln und plätschern, bevor sie sich verflüchtigt. Die schlendernde Klangfläche folgt einem bestimmten Rhythmus; es ist musikalisch und dennoch gesprochen und es fühlt sich fast so an, wie ein Klang, den man in einem Wald finden würde. Die Personen, zu denen diese Stimmen gehören, bewegen sich ruhig durch den Raum. Ihre Körper haben eine Art ‚sanfte Präsenz‘ im Raum, wie eine Nebenrolle zu ihrer kollektiven, lyrischen, ihrem Stimmen-Lied, das eine Folge von Bildern scheinbar nach der flickenhaften Logik von Träumen zeichnet. Ich kann nicht immer sagen, wer was sagt, und für lange Zeit genieße ich diesen Sprachfluss in dem spärlich beleuchteten Raum.

Ich denke über den Titel – „Blind Date“ – nach, und meine Gedanken schweifen: Dunkelheit, Begegnungen, zu Dates gehen, jemand neues treffen, Magie, das Profane, Gefühle von Unwohlsein. Und ich fühle mich unwohl! Wir alle. Nichts wogegen wir unsere Rücken auf diesen Plattformen lehnen könnten, so wackeln wir ständig in dieser Dunkelheit hin und her, die sich birgt in einer ruhigen und schönen, aber grenzwertig monotonen, akustischen Landschaft. Jemand neben mir seufzt und flüstert zur seiner Begleitung: „Noch 25 Minuten!“ Ich bin überrascht. Sonst beobachte ich das Berliner Publikum meist tolerant und respektvoll herausforderndem Theater gegenüber. Aber ich mache ihnen keinen Vorwurf: Ich bewege mich schon den ganzen Abend zwischen Kinn-in-Ellbogen-auf-den-Knien- und Aufrechter-Yoga-Rücken-Position, während ich die Stühle vor meiner Nase sehne und fast von ihnen zum Narren gehalten werde.

Es kommt ein Moment als die Stimmen klimaktisch anheben; eine Kakophonie aus Worten als die Performer*innen gemeinsam wiederholen „Mach ein Statement!“ Zur Hälfte erwarte ich, dass dieser selbstreferentielle Moment einen Wechsel in der Beleuchtung oder der Bewegung triggern würde, aber er tut es nicht. Mir wird bewusst, dass es so weitergeht, weitestgehend unverändert, und diese Bewusstwerdung lässt meine Antizipation für etwas anderes schwinden. An ihrer statt bemerke ich etwas Schönes, das an der Wand hinter den Performer*innen erscheint. Das vom Fenster kommende Licht, von dem ich dachte, es sei unbeweglich, beginnt über die Wand zu kriechen. Muster, die an Regen erinnern, tauchen aus dem Nichts auf. Der Effekt ist hypnotisierend und fast nicht wahrnehmbar. Ist dies, frage ich mich, worauf ich gewartet habe? Wenn ja, ist es überraschend zufriedenstellend und unglaublich subtil. Nach wenigen Momenten erinnert mich mein Körper dennoch daran, dass er immer noch nach einer Art Befreiung aus dieser nicht gerade freundlichen Sitzsituation sucht.

Mir wird bewusst, dies ist mehr ein Hörstück als ein Sehstück, und mein Rücken ist grundsätzlich müde und schmerzt, was das Zuhören schwierig macht. Jemand anderes aus dem Publikum gibt auf und bewegt sich Richtung Boden, um den Rücken gegen die Plattform zu lehnen. Ich tue es unmittelbar nach. Mit der sofort eintretenden Erleichterung habe ich wieder Energie und fühle mich noch einmal in der Lage, die kollektive Fähigkeit hinter dem Schaffen und Erhalten dieses poetischen Klangtuchs zu bewundern. Bis zum Ende der Performance treibe ich zufrieden auf den dunklen Wortflussschleifen.

Obwohl die Arbeit eine traumartige Qualität von Erinnerung und Magie schafft, bleibt bei mir leider das Gefühl, dass die Performer*innen ihr Publikum nicht zu Genüge bedacht haben. Wie unterschiedlich diese Arbeit hätte aufgenommen werden können, wenn das Publikum Stühle mit Rückenlehnen gehabt hätte, oder sich hätte hinlegen und ausruhen, oder gar durch den Raum gehen und komplett in ihre Begegnungserinnerungen hätte gelangen können. Vielleicht war es gewollt, dass wir hin- und herwackeln und uns winden, aber ein Körper, der entspannt ist und es bequem hat, ist mit Sicherheit mehr gewillt, dem sich aus einer intimen Begegnung lösenden Lied zu folgen. 


Deutsche Übersetzung von Wenke Lewandowski