„drunter und drüber“, Canan Erek © Miriam Tamayo

Gefühlsmäßig im Quartett.

Die Choreografin Canan Erek versammelt in „drunter und drüber“ vier Emotionen für Kinderperspektiven in Erwachsenenwelten.

Drehen wir für einen Moment die Zeit zurück und erinnern uns: wir sind zwischen fünf und sieben Jahre alt und leben in der unbestimmten Ahnung, dass sich unser Leben sehr bald sehr grundlegend verändern wird. Die meinen es ernst. Wir werden eingeschult. Wir müssen von Kindergarten-Freund*innen Abschied nehmen, Eltern oder andere Erwachsene versuchen, uns die Veränderungen weniger schmerzhaft zu verkaufen, indem sie uns große mit Geschenken gefüllte Schultüten versprechen…Was bleibt: gemischte Gefühle!

Für den Fall, dass ich meine eigene Vorschulzeit bis hierhin großzügig verklärt haben sollte, werde ich im Kindertanzstück „drunter und drüber“ von Canan Erek daran erinnert, dass wir damals schon echte Probleme hatten. Und, dass Kinder-Gefühle in den meisten Fällen „drunter und drüber“ um die Wette tanzen. Vier dieser Gefühle werden hier auf charmante Weise von den Tänzer*innen verkörpert: Daniella Eriksson als FREUDE, Judith Nagel als TRAUER, Sarina Egan-Sitinjak als WUT und Martin Clausen als ANGST. Während Gedankenströme und Ausschnitte aus dem Alltag von Toni als Stimme aus dem Off Einblicke in die Gefühlswelt geben  (wobei coolerweise bis zuletzt nebensächlich bleibt, ob sich dahinter ‚Junge oder Mädchen‘ verbirgt), hat jedes Gefühl über die Dauer des Stücks einen eigenen Solo-Auftritt. Die ANGST schlurft angesichts des bevorstehenden ersten Schultags geduckt durch den Raum, erschreckt vor unsichtbaren Geistern und löst mit aufgeregten Hyper-Angstausbrüchen tosendes Gelächter aus. Wütend und mit übergroßen Boxhandschuhen behangen tänzelt die WUT angriffslustig mit geballten Fäusten durch die Reihen und sorgt mit reiner körperlicher Präsenz für Furore. Beschwingt hüpft die FREUDE von einem Fuß auf den anderen, durchquert die Bühne in Radschlägen, während die TRAUER sich mindestens so herzergreifend nicht aufmuntern lassen kann…

Bemerkenswert ist, dass dieses Stück recht schlicht, ohne größere Bühnenelemente oder ästhetische Aufregungen auskommt. Ein kleines Trampolin wird zum Dreh- und Angelpunkt, zwischen Freudensprüngen, ängstlichem Hadern, Trauerkloßhüpfern und energischen Wuthochsprüngen.

Auch, wenn sich in manchen Momenten die Frage aufdrängt, ob die Themen, die hier verhandelt werden, wirklich Kinderthemen sind oder nicht viel eher von Erwachsenen ausgedacht wurden, die versucht haben, sich pädagogisch wertvoll an ihre eigene Kindheit zu erinnern (Memo an mich selbst: hab ich mich eigentlich gefreut, meinen Namen schreiben zu können, weil ich es selbst so toll fand oder weil die Erwachsenen drum herum applaudiert haben?), sprechen die Reaktionen der kleinen Zuschauer*innen am Ende doch für sich. Toll ist auch, dass die Macher*innen von „drunter und drüber“ ihr Publikum nach dem Stück noch zu einer Frage, bzw. Feedbacksession einladen, in der sich wieder einmal zeigt, wie vielseitig und individuell wir alle doch das Gesehene interpretieren. Dann ist es am Ende vielleicht auch Auslegungssache, ob der Tänzer Angst oder Kopfschmerzen hatte – die Empathie spricht für sich.


Tanzstück für junges Publikum 5+, Premiere: 25. Oktober 2019, Uferstudios