Unfinished Fridays Series at Lake Studios © Inky Lee

Unfertig, gemeinsam – Ein Abend in den Lake Studios

Einmal im Monat veranstaltet das Tanz Recherche und Residenz Zentrum Lake Studios „Unfinished Fridays“, ein offenes Studio, das Residenzkünstler*innen und anderen Gästen eine Möglichkeit bietet, ihre aktuelle Arbeit vorzustellen, woraufhin zudem eine geführte Feedbackrunde mit dem Publikum stattfindet.

Ich beginne hier mit dem Ende des Abends, denn dort finden die Dinge für mich schließlich zusammen. Wir sind zu zwanzigst, vielleicht mehr, platziert in einem Kreis, die meisten auf dem Boden, manche auf Stühlen. Das Studio, in dem wir uns befinden, ist groß und wunderschön; es fühlt sich an wie recht weit außerhalb Berlins, doch wir sind immer noch innerhalb des AB-Bereichs. Wir haben gerade fünf Performances gesehen, von denen vier Solos gewesen sind, alles In-progress-Arbeiten. Ich bin überrascht und beeindruckt von der Anzahl der Leute, die sich entschlossen haben nach den Darbietungen noch zur Feedbackrunde zu bleiben.

Die Moderatorin dieses Abends erklärt: „Also, wir werden über die Performances in der Reihenfolge des Programms sprechen, einfach aus dem Grund, weil es so am einfachsten ist. Jede*r Künstler*in wird sich und seine*ihre Arbeit kurz selbst vorstellen, und dann laden wir das Publikum ein, sich zu beteiligen. Ihr könnt sagen, was ihr beobachtet habt, eure Eindrücke, Momente, die für euch herausstachen, mitteilen. Wenn ihr der gleichen Meinung seid, könnt ihr einfach ‚Plus eins!‘ sagen. Dann müssen wir uns nicht wiederholen. Wir haben sieben Minuten für jede Performance. Immer wenn der Timer abläuft, kommen wir zum Ende und gehen zum*r nächsten Künstler*in über.“

Für mich ist es kein leichter Abend gewesen. Kopfschmerzen ziehen von einem Knoten am Nacken herauf und mir ist übel wegen einer notdürftigen Falafelentscheidung. Auch war ich beschäftigt mit einer kleinen Krise des Sehens unfertiger Stücke, und dann über sie zu schreiben. In-progress-Arbeiten anzuschauen erfordert einen anderen Blick – einen, der wohlwollender ist und offener für Potentiale. Ich frage mich, wie ich diese Offenheit und dieses Wohlwollen in den nächsten Text, den ich schreiben werde, bringen kann. Ein ganzer Text über fünf unfertige Performances. Kein Leichtes.

Die erste Künstlerin beendet ihre Einführung und wird von einer kurzen Stille begrüßt. Dann bricht jemand das Eis und die Diskussion kommt in Gang. Meine Abgelenktheiten schwinden, als ich zuhöre. Die Künstler*innen beteiligen sich, geben ihren Performancekolleg*innen ebenfalls Feedback, und nach kurzer Zeit scheint ‚Künstler*in oder Publikum‘ keine Frage mehr zu sein. Die Gruppe beginnt sich selbst durch das geteilte Bezeugen einer Reihe von Ereignissen zu konstruieren, und ich fühle mich getragen von dem wohlwollenden Austausch, der um mich herum stattfindet. Eine definite Form des „Wir“ ist im Entstehen.

Für die nächste Stunde diskutieren wir die Wirksamkeit der Kostümierung bei Johanna Kasperowitsch, und welche Stellen auf wen starke Wirkung hatten. Einige von uns sprechen von der treffsicheren Qualität von Franziska Doffins Performance, und dann fragt jemand unter uns nach dem Oberteil, das sie als Hilfsmittel oder Gegenüber verwendet. Wir bewundern die explosive und sehr authentische Entfesselung in Inky Lees Ein-Personen-Kinder-Musical über Rassismus, die meine Autorenkollegin beim tanzschreiber ist. Einige von uns ermutigen Dakota Comín am Erforschen der einfachen diagonalen Linie, die sie mit ihrem Bewegungsmaterial etabliert, dranzubleiben, und wir sind einer Meinung darüber, dass die Art, in der sie das Publikum um diese diagonale Linie herum anordnet, kraftvoll ist. Wir hören von den Prozessen, die hinter Moonsuk Chois und Yamila Khodrs Choreografie für vier Tänzer*innen stehen, und schließlich machen wir uns gemeinsam Gedanken darüber, wie man den Übergang von der Eröffnungsszene, in der die Tänzer*innen sprechen, zur ersten Bewegungssequenz gestalten kann.

Die Moderatorin dankt uns und beendet den Abend offiziell. Für einen kurzen, aber reichen Moment sitzen alle Körper ruhig zusammen. In dem warmen Applaus beginnt das „Wir“ zu dispergieren. Manche von uns verweilen ein wenig, immer noch vertieft in Gedanken und Diskussionen. Ich tausche mich mit einer der Künstler*innen aus, die in einem ähnlichen Interessenfeld arbeitet wie ich, und biete ihr an, ihr etwas zur Lektüre zu schicken – ich bemerke, dass meine Kopfschmerzen bereits verschwunden sind. Auf dem Weg nach Hause überdenke ich nochmal mein mittelschweres Problemchen, das mich zu Beginn des Abends so beschäftigt hat. Mir wird jetzt klar, dass ich vielleicht gar nicht einen Text schreiben möchte, der diese In-progress-Arbeiten ‚rezensiert‘. Vielmehr will ich auf die gemeinsame Praxis hinweisen, die durch „Unfinished Fridays“ unterstützt wird: ein Fördern des Lebendigen und ein nahezu radikaler Akt des Miteinanderdenkens.


Deutsche Übersetzung von Wenke Lewandowski