„DOOM“, Layton Lachman & Samuel Hertz ©Ethan Folk

Träumereien an der Schwelle

Layton Lachmans und Samuel Hertz‘ klanglich aufgeladene Videoadaption ihres Bühnenstücks „DOOM (The Movie)“, die im Rahmen des Online-Programms der Tanztage Berlin 2022 gezeigt wird, erschafft eine Welt aus Katastrophe und Schöpfung. Parvathi Ramanathan betritt diese Welt in einem Rausch aus wahnhafter Krankheit und Fantasie.

Diese Worte wurden durch schlaflose Halluzinationen und widerhallende Träume aneinandergereiht. Ab und zu wache ich auf und singe eine Hymne, die mit Millionen von Körpern auf der Erde harmoniert. Mein fiebriger Geist wird von Visionen einer Mitternachtsvorstellung und eines Rituals im Morgengrauen gespeist. Beide erheben ein Glas, um auf eine bevorstehende glückselige Apokalypse anzustoßen. Ich schwelge darin und salbe mich mit diesem süßen Madeirawein.

Um Mitternacht, noch bevor das kleine Stückchen Mond nachgewachsen ist, beginne ich mir „DOOM (The Movie)“ anzusehen. Ich werde in ein dunkles Lagerhaus eingeladen, das von Neonlichtern und aufsteigendem Nebel durchzogen wird. Eine sinnliche, metallische Melodie hallt um mich herum. Mein Blick fällt auf vier Körper, die sich langsam bewegen, als würden sie potenzielle Energie für den bevorstehenden Sprung sammeln. Ihre Gesichter sind in wilden Blicken erstarrt. Wenn die Musik verstummt, heben sie die Schultern und stürmen vorwärts, wobei sie mit den Füßen im Gleichklang zu jedem Industrial-Riff der Gitarre stampfen. Ihr Headbanging pulsiert durch ihre Körper und fließt mit jedem Schritt in die Erde. Sie verschränken ihre Arme und bewegen sich mit einer Wildheit, als wären sie von der Suche nach Erlösung ergriffen. Die Schatten dieser Träumerei zerreißen in den orangefarbenen Tönen eines Matisse-Gemäldes. Das Gemälde mit dem Titel ‚Tanz‘.

Meine Mutter spricht aus dem Nebenzimmer zu mir, aus einer Entfernung von etwa drei Hunden oder einem Pony. Ihre Stimme erreicht mich wie ein Flüstern in meinem Ohr: „Deine Qualen werden mit den Himmelskörpern reisen. Dieses Fieber wird mit jedem Sonnenaufgang seinen Höhepunkt erreichen und es wird mit der Kühle der Nacht wieder sinken.

Die Krähe an meinem Fenster fliegt hoch empor und fordert die sengende Sonne auf, noch eine Weile stehen zu bleiben. Durch den Blick dieser kreisenden Krähe beobachte ich diesen Tanz von Untergang und Auferstehung.

Die Krähe gleitet lautlos hinter dem Darsteller in zerrissenen Jeanshosen her, der mit dem Fahrrad durch das dunkle Lagerhaus fährt, als wäre diese Apokalypse ein Ausflug über eine sonnendurchflutete Wiese. Begleitet von den eindringlichen Klängen einer Viola da Gamba verfolgt meine Krähe das Fahrrad in ruhiger, meditativer Erwartung des Endes.

Die vier Wesen bilden einen Kreis. Sie schauen sich anerkennend an und legen einander zärtlich die Hände auf den Rücken. Mir fallen besonders die Hände des*derjenigen im übergroßen schwarzen Anzug auf, wie sie der neben sich befindenden Person über den Rücken streicheln. Die Krähe versucht, an den rankenartigen Fingern zu zupfen. In diesem Moment wölben sich die vier Rücken und neigen die Köpfe nach oben. Gemeinsam stoßen sie ein tiefes, urzeitliches Heulen aus. Ihre hohen Schreie sind frei von Furcht, Schrecken, Angst oder Freude – dissonante Stimmen ohne jede Emotion – und doch scheint dieser Akt des Heulens sie zu nähren. Die Krähe schlägt mit den Flügeln und späht in ihre Mäuler, sucht den ganzen Kosmos in den Falten ihrer Kiefer.

Mein Kopf pocht. Schmerz brennt hinter meinen Augen. Mit Fingern, die ebenso gut zu einem anderen Körper gehören könnten, fahre ich die pulsierenden Adern nach, die sich an meine Stirn drücken. Irgendwann in den letzten Nächten ist ein glitzernder Wurm in meinen Gehörgang eingedrungen und hat sich in meinem Kopf eingenistet. Jetzt ernährt er sich von den Säften meines Gehirns. Bald wird der Wurm Eier legen. Ich sehne mich nach den zärtlichen Händen des Mannes im schwarzen Anzug, die mich streicheln und die Arterien an meinen Schläfen sanft kneifen.

Zwei Körper sind nun aneinander gekettet, mit einem klirrenden Stück verdrehten Metalls zwischen ihren Hüften. Einer zerrt, zieht den anderen mit. Sie bewegen sich gemeinsam in unerwarteter Hingabe und halten sich gegenseitig in freudiger Aufhängung mit der Unterstützung der Kette. Die Kette wird zu einem Werkzeug des sinnlichen Spiels und der Macht. Sie rollen, springen und stürzen gemeinsam, wobei sie im Angesicht der Katastrophe den Staub unter ihren Füßen aufwirbeln. Sie ziehen den Wurm aus meinem Kopf und wickeln ihn um ihre Metallkette. Ich werde hinter ihnen hergeschleift.

Meine Großmutter erzählt mir die Geschichte, wie die Hindu-Gottheit Lord Nataraja das Universum zerstört und es gleichzeitig ins Leben tanzt. In einem Arm trägt er die Flamme, die alles Leben auslöscht. Mit jedem Funken zerbricht die Erde und wird zum Nichts. Sein verfilztes Haar trommelt gegen seine blaue Brust, während er im Takt der kleinen zweiköpfigen Trommel springt, die er in der anderen Hand hochhält. Mit jedem rhythmischen Schlag erwacht das Leben.

Die Krähe kehrt zum Fenster zurück und beschreibt das Morgenritual, das ohne mich stattfand. Wie sie Nataraja mit Wasser, Milch, Kurkuma, Honig und Asche badeten. Die vier Tänzer*innen und ich lauschen der Erzählung der Krähe, während sie uns die Augen aussticht. Jetzt können wir alles sehen. Wir akzeptieren es und nehmen es an. Ich setze mich auf und rufe in den Raum hinaus: „Trauern wir? Sollen wir feiern?“

Foto: “DOOM” von Layton Lachman & Samuel Hertz ©Ethan Folk

Übersetzung ins Deutsche von Alex Piasente


„DOOM (The Movie)“ von Layton Lachman & Samuel Hertz ist als Video-on-Demand (Dauer: 40 Minuten) im Online-Programm der Tanztage Berlin 2022 bis zum 22. Januar 2022 zu sehen.

„DOOM“ wurde als 90-minütige Live-Performance (Konzept von Layton Lachman & Samuel Hertz, umgesetzt und aufgeführt mit emeka ene & Caroline Neill Alexander) am vergangenen Wochenende, dem 15. und 16. Januar 2022, in den Sophiensælen im Rahmen der Tanztage Berlin 2022 uraufgeführt.