„showdown“, Judith Förster ©Mayra Wallraff

Schuss-Gegenschuss: Sequenzen eines sapphischen Zusammentreffens

Judith Förster und Nanna Sigsdatter Mathiassen treffen während der Tanztage Berlin 2022 in den Sophiensælen in der Performance und Videoinstallation „showdown“ aufeinander. Eine filmische Version ist vom 17. bis 22. Januar 2022 im Onlineprogramm des Festivals zu sehen.

Im Festsaalfoyer der Sophiensæle sind zweireihige Stuhlreihen einander gegenüber aufgestellt, in der Mitte bildet sich ein Korridor. Ich nehme auf der linken Seite Platz. Im Korridor sitzen die zwei Performer*innen bereits, durch maximale Distanz voneinander getrennt. Zur Linken: Judith Förster, Stofftaue um ihre Arme wickelnd, auf dem Boden vor einem schmalen Podest; zur Rechten: Nanna Sigsdatter Mathiassen, ein transparentes, schwebendes, von der Decke hängendes Plastiksegel haltend, in welchem Wasser aufgebahrt wird. Zeitgenössisch anmutende Westernmusik erklingt aus den Lautsprechern, charakteristische Riffs verbinden sich mit glucksenden Wassergeräuschen in einer minimalistisch-rhythmischen Soundvariation von Fjóla Gautadóttir. Hier in dem Korridor soll es also zum Showdown zwischen den beiden Kontrahent*innen kommen. Schuss-Gegenschuss.

In Judith Försters „showdown“ begegnen sich zwei Menschen in einer Welt, in der frisches Wasser Mangelware zu sein scheint, die raue Umgebung ist karg und technisiert. Das von André Uerba gestaltete Scheinwerferlicht leuchtet scharf, schrill orange, pink, und stechend blau, das Wasser verdampft in den zwei von der Decke hängenden Plastiksegeln, in dem von Julian Weber auf wenige Elemente reduzierten Bühnenraum. Förster und Sigsdatter Mathiassen bewegen sich, einander entgegen, aufeinander zu, als würden sie sich an Tauen durch unwegsame Wälder ziehen, aneinander vorbei. Sie kämpfen im Duell gegeneinander, geben vor, sich zu stützen und lassen sich dann fallen, schlagen auf den Boden, schlagen mit den Füßen. Ehe sie die Vorteile eines Zusammenseins entdecken, gemeinsam Brücken schlagen, einander halten. Doch sie bereiten sich vor, tränken sich und Stoffe in Wasser. Judith Förster wechselt die von Martin Sieweke zusammengestellte Kleidung, stopft sie aus, stülpt Chaps über ihre Beine, wappnet sich.

Das Gluckern des tropfenden Wassers inspiriert die zwei Nähe-Suchenden schließlich zu einer tonalen Kommunikationsform, mit schnalzenden Zungen kommunizieren sie in einer Klicksprache und finden so im Duett zueinander. Das rhythmische Klacken, Glucksen, Knallen der Zungen vermischt sich mit dem Riff der abstrakten Westernmusik, übertönt sie, löst sie ab. Außer den menschlichen Geräuschen herrscht Stille im Raum. Aber das traute, elektrisierende Zusammensein, das sinnliche Reiben der Gesichter, Wange an Wange, das liebkosende Händehalten sind nur von kurzer Dauer. Der Moment entlädt sich kurz darauf in einer durststillenden Suche nach Wasser, das verbrennt oder erfrieren lässt, sodass man nur noch die Augen zu verschließen vermag, um letztlich in einer imaginären Welt weiterzuleben. Dann ein letzter Versuch von Sigsdatter Mathiassen zur Rechten, die Flüssigkeiten in den Plastikbecken blau und grün zu färben, das Gemisch in den weiteren Behältern zu säen. Wird dieses Forttragen des eingefärbten Wassers noch Früchte tragen?

Die Sequenzen werden abwechselnd von links nach rechts erzählt, Schuss-Gegenschuss, in einer im Filmgenre des Westerns geläufigen Schnitttechnik. In diesem Fall wird ein Neo-Western erzählt, der, wie im Programmtext erwähnt, unter anderem Bezug nimmt auf zwei feministische Publikationen des 20. Jahrhunderts, Le Corps Lesbien von Monique Wittig (1973) und Octavia E. Butlers Die Parabel vom Sämann (1993). Dem patriarchalen Western und seinem dominierenden White Male Gaze widersetzt sich dieser Neo-Western durch intersektionale queerfeministische Aneignung und Umdeutung. Nicht nur die gemeinhin als Kanon vermittelte Sicht auf die Literatur-, Kunst- und Kulturgeschichten hat queere und lesbische Lebensrealitäten oftmals außen vorgelassen. Indem vom Maskulinum als Norm ausgegangen wurde (und wird), werden Frauen* schlicht unsichtbar gemacht.

In Monique Wittigs fiktivem Roman Le Corps Lesbien lebt die lesbische Erzählerin auf einer Art sapphischen Insel und genießt dies sowohl auf körperlicher als auch auf intellektueller Ebene. Auch in „showdown“ wird die Welt einzig von zwei Frauen* bewohnt, die sich zunächst kontrahierend annähern, aber dann zueinanderfinden, ihre Wangen aneinander reiben, begleitet von ekstatischen Klicklauten – selbst dem Publikum scheint der Atem zu stocken. „Immer noch rinnt das Wasser“ schrieb Sappho in der Ode an Aphrodite, und immer noch erfrischen sich Förster und Sigsdatter Mathiassen mit dem raren Nass. Die Farbgebung des Scheinwerferlichts erinnert zudem an die florale Vielfalt der Insel in Wittigs Roman, in der die Protagonistin durch pinke, orangene und blaue Blumenwelten streift, während sie in erotischen Gefühlswellen schwelgt. Imaginiert auch Förster so eine sapphische Insel, als sie sich am Schluss der Aufführung die Augen verbindet, als letzter Ausweg aus der lebensfeindlichen, technisierten Welt, die sie umgibt?


Fotos: „showdown“ von Judith Förster (Tanz: Judith Förster, Nanna Sigsdatter Mathiassen) ©Mayra Wallraff


Octavia E. Butlers Science-Fiction-Roman Die Parabel vom Sämann spielt in einer Zukunft des Jahres 2025. Wasserknappheit, schlechte Arbeitsbedingungen und Kriminalität spalten die Gesellschaft und die hyperempathische Protagonistin, die Freud und Leid ihrer Mitmenschen am eigenen Leib spürt, macht sich auf die Suche nach ihrem Platz in der Welt. Auf dem Weg trifft sie verschiedene Menschen und sie sät ihre Ideologie einer neuen Gemeinschaft. Wie die Protagonistin in Butlers Roman scheint auch Nanna Sigsdatter Mathiassen die sie umgebenen Stimmungen am eigenen Körper zu spüren. Sie reagiert. Schmerzverzerrt reißt sie den Mund auf, kneift ihre Augen zusammen und windet sich zuckend. Oder klatscht freudig um sich, patscht mit ihren Händen auf den Boden, wie ein glückliches Kind, das mit der glatten Wasseroberfläche spielt. Auch sie ist es, die am Ende der Performance Wasser einfärbt und vergießt, es sät und fortpflanzt. Wie in der Parabel vom Sämann begegnen sich mit Judith Förster und Nanna Sigsdatter Mathiassen in „showdown“ zwei Individuen, mit eigenen Interessen, Wünschen, Hoffnungen und Visionen, die eine Zeit lang einen gemeinsamen Weg gehen, mit offenem Ausgang.

Der Saal ist dunkel. Klatschen, Applaus, die Performenden verlassen den Raum, die Tür geht zu, die andere auf. Zuschauer*innen summen die Musik, tragen sie fort. Eine Stimme sagt: „Please be careful with the water!“ Ich stehe auf, verlasse den Raum, vorbei an den Wassertropfen am Boden.


Judith Försters „showdown“ wurde vom 10. bis 12. Januar 2022 in den Sophiensælen live aufgeführt. Mit „showdown AV“ von Judith Förster & Stella Horta existiert auch eine filmische Version der Performance, die am Wochenende vor den Vorstellungen als Videoinstallation im Festsaalfoyer der Sophiensæle gezeigt wurde. Sie wird zudem vom 17. bis 22. Januar 2022 im Onlineprogramm der 31. Tanztage Berlin zu sehen sein. 


„showdown“ — Künstlerische Leitung: Judith Förster. Tanz: Judith Förster, Nanna Sigsdatter Mathiassen. Kostüm: Martin Sieweke. Bühne: Julian Weber. Sound: Fjóla Gautadóttir. Lichtdesign-/Technik-/Produktionsassistenz: André Uerba. Dramaturgie: Isabel Gatzke.