In „Trace Study (or how to keep warm in the waiting room of collapse)” nimmt Frank Willens die Architektur des ihn umgebenen Raumes zur Hilfe, um einen seelischen Ausnahmezustand zu skizzieren. Die Performance ist Teil des circa 70-minütigen Tanzfilmprojekts „Tanz vom Tod“, für das die Berliner Choreografin Saskia Oidtmann zehn international arbeitende Künstler*innen mit je einem Solo beauftragte.
Kontaktbeschränkungen, Lockdowns, Quarantäne, ein kurzes Aufatmen im Sommer. Im Winter noch höhere Inzidenzen und Sterberaten. Mit der Pandemie hat sich das Leben vieler Menschen dramatisch verändert, erscheint begrenzter und endlicher als jemals zuvor. Das kann mitunter zu seelischen Belastungen führen: Wann ist es noch der ganz normale alltägliche Wahnsinn und wann handelt es sich bereits um Vorboten eines seelischen Zusammenbruchs? Mit „Trace Study (or how to keep warm in the waiting room of collapse)” – einem Kapitel innerhalb des zehnteiligen Tanzfilmprojekts „Tanz vom Tod“ – zeichnet Frank Willens eine bruchstückhafte Geschichte über emotionale Orientierungslosigkeit und Selbstentfremdung nach – sowie den Wunsch, den erlittenen Kontrollverlust nachzuvollziehen.
Die erste Szene des Solos, eine Art Prolog, spielt in der Gegenwart. Das Kameraauge (Filmische Gestaltung: Nora Wetzel) irrt über einen kahlen Betonboden, streift Körperteile eines liegenden Unbekannten, entfernt sich von ihm, kommt wieder zurück und erfasst nun auch sein Gesicht. Mittlerweile kauert der Nackte mit verängstigt-starrem Blick vor einer Wand. Bereits hier gibt es einen Identifikationsmoment für die Zuschauenden, die sich dank der Kamera zögerlich in dieser intimen und irritierenden Situation bewegen wie ein*e zweite*r Protagonist*in. Es tauchen Fragen auf: Was ist passiert? Was hat diesen Menschen so isoliert und so verletzlich gemacht?
Keine zwei Sekunden später springt derselbe, nun bekleidete Mann selbstbewusst ins Filmbild. In Rückenansicht geht er auf einer Betonschiene entlang und nimmt uns mit in einen tunnelartigen, nur mit zwei schmalen Fenstern auf der Querseite ausgestatteten und symmetrisch in zwei Hälften geteilten Raum. Entlang dieser trostlosen, geradlinigen Geometrie spult sich in Folge ein Erinnerungs-Tanz in assoziativen Bewegungsbildern ab – eine Spurensuche wie aus einem Gedächtnis- und Identitätsverlust heraus, nüchtern distanziert und zugleich melancholisch involvierend. In klagendem Sprechgesang etwa wird eine gescheiterte Beziehung angedeutet – „she, he – in vain“. Auch der Sound eines vorbeifahrenden Zugs ertönt und verlischt, während der Performer seinen Körper dicht an einer der sich scheinbar endlos in den Raum dehnenden Wände entlang rollt, wobei die Kameraführung den Eindruck der Enge noch unterstützt.
Das alles liegt im Auge der Betrachtenden. Willens spannt lediglich das semantische Feld für diesen psychothrillerhaften siebenminütigen Mini-Tanzfilmstreifen. „Trace Study (or how to keep warm in the waiting room of collapse)” beschreibt einen vorübergehenden Tod, einen Normalitätsverlust, aber auch das Widerstandsvermögen, bei allem Wahnsinn einen gewissen Abstand zum eigenen seelischen Erleben zu wahren. Das ist wahrlich nicht immer leicht in krisengebeutelten Zeiten, wofür auch der galgenhumorige Untertitel des Filmes spricht!
Der Film „Tanz vom Tod“ von Saskia Oidtmann wird gerade zu Festivals eingereicht. Erst im Anschluss wird er in voller Länge online zu sehen sein. Ein Trailer findet sich auf der Webseite des Projekts tanzvomtod.com.
Konzept und Künstlerische Leitung: Saskia Oidtmann. Tanzkünstler*innen / Choreografie: Florian Bücking, Mathis Kleinschnittger, Raisa Kröger, Rosalind Masson, Ixchel Mendoza, Ming Poon, Kiana Rezvani, Maria Walser, Anna Weißenfels, Frank Willens. Filmische Gestaltung: Nora Wetzel. Komposition: Simon Bauer. Audiodeskription: Simone Detig, Gerald Pirner. Produktion: Medea Film.