Nach zwei Jahren pandemiebedingtem Ausweichen in die digitalen Sphären kehrt das A.PART-Festival zurück ins ada Studio und bietet der jungen Berliner Tanzszene eine Bühne: Unter dem Titel „ONSTAGEPLEASE!“ wurden am 6./7. und 13./14. Mai 2022 zeitgenössische Choreografien von Tanzstudierenden und -alumni präsentiert.
Im Studio 7 in den Uferstudios in Berlin-Wedding, wo das 2006 gegründete ada Studio seit 2011 eine Bühne und Produktionsstätte für zeitgenössischen Tanz beherbergt, liegt ein gelblicher Tanzboden aus. Als Kulisse passt dieser farblich zur Soloperformance „yellow light, pause“ von Silja Tuovinen, die das diesjährige A.PART-Festival eröffnet. Bekleidet in einem beigen Overall setzt sie sich mit den Phasen der Trauer auseinander. Mithilfe von Sand und Bodenwischern sowie mit schnellen, automatisierten Bewegungen erzeugt sie eine melancholisch-erdrückende Stimmung, die durch Ambient-Musik und ihr zeitweises Verlassen des Raums verstärkt wird.
Es folgt die Performance „ich sehe dich“ von Tabea Antonacci und Marie Elise Hufnagel, in der die beiden Tänzerinnen Schwesternschaft beziehungsweise FLINTA*hood thematisieren. In ihrer farblich aufeinander abgestimmten Alltagskleidung in Pastelltönen bewegen sie sich mal synchron und dann wieder asynchron durch das Studio, schmiegen sich aneinander und harren in liegenden Posen aus, werfen sich imaginierte Bälle zu und halten sich an ihren Armen in Balance. Sie sprechen abwechselnd, ergänzen ihre Sätze, hüpfen durch den Raum und reiben ihre Körper an der Wand. Während ihrer spielerischen Aushandlung von verkörperten Beziehungsgeflechten nehmen sie stets Bezug aufeinander und auch das Publikum wahr, blicken uns Zuschauer*innen in die Augen.
Die dritte Performance, „common thread“ von Milica Tančić, beschäftigt sich mit dem Unerwarteten (verbaler) Kommunikation. Tančić tritt herein in einem weißen Anzug mit einem roten Wollknäuel auf dem Kopf, den sie bei sich zu Hause als fertiges Objekt vorgefunden habe. Daraufhin entwickelt sie, untermalt von düsterer, elektronischer Streichmusik, ein Spiel mit dem Materiellen des Fadens, der ihr zugleich als Kommunikationsfaden die Sprache verschlägt, ehe sie den Faden zerreißt und uns Zuschauenden in eine Pause entlässt.
Der Film „Hypothetic Bodies“ von Simone Gisela Weber und Julia Keren Turbahn ist in Kollaboration mit der Filmemacherin Svenja Simone Schulte entstanden. Ursprünglich geplant als Bühnenperformance, wurde aus dem Vorhaben aufgrund der Pandemie ein Tanzfilm, der nicht nur die Performance dokumentiert, sondern mit der Schnitttechnik des Splitscreens arbeitet und durch Close-ups einen intimen Raum erzeugt. In der eigenständigen Videoarbeit schlägt die im Sportbody und Trainingshose bekleidete Weber Ziegelsteine aneinander, der Staub verteilt sich mit den Splittern auf dem blauen Boden. Sich selbst schmeißt die Tänzerin gegen die weiße Fliesenwand, blaue Flecken masern ihre Schultern. Rhythmische Anschläge und Striche einer elektronischen Gitarre vermischen sich mit klirrenden Synthiesounds und geben den Takt ihrer Bewegungen vor.
Milena Sundari Nowak und Tatjana Mahlke untersuchen in „Ist das normal?“ ihre eigenen Privilegien und gesellschaftliche Machtstrukturen – als offene Fragen fanden sie ihren Weg vom Privaten in die gemeinsame Performance. Sowohl mit kulturell angeeigneten Textilien als auch mit gesprochenen Worten beleuchten sie intersektionale Strukturen der Ungleichbehandlung und Möglichkeiten der Solidarität. Ihre tänzerischen Elemente, die an Bewegungsabläufe der Contact Improvisation erinnern, stellen sie sich den Perspektiven gegenseitiger Unterstützung auch auf körperlicher Ebene.
Nach den Aufführungswochenenden (6./7. und 13./14. Mai 2022) sind die Videoaufzeichnung von Programm 1 und 2 jeweils für vier Tage auf dem Festivalblog verfügbar. Den zweiten Teil des Festivals sehe ich mir aus zeitlichen Gründen zu Hause in der Videodokumentation an. Doch eine Publikumserfahrung, wie ich sie in den Uferstudios während des ersten Teils erlebt habe, kann die Onlineversion kaum ersetzen. Ich mache aber Gebrauch von der Möglichkeit, zwischen den Sequenzen hin- und herzuwechseln, vor- und zurückzuspulen.
In der ersten Performance des zweiten Programms, „My body’s wild life“, begegnen sich Maria Rutanen und Joséphine Auffray in weißen Hosen und hellbraunen Shirts in einer Steppe, die durch den gelben Tanzboden und zwei Zimmerpflanzen kreiert wird. Auf einem Pelzmantel liegend ergreift Auffray ein Mikrofon und während sie ihre Lippen bewegt, ist das Gebrüll eines Löwen zu hören. Wenig später wiegen sich Rutanen und Auffray simultan und stehend von links nach rechts, ihre nackten Füße quietschen auf dem Boden. Als sich das Licht im ada Studio rot färbt wie die Röte am Horizont bei einem Sonnenuntergang, werfen sich die beiden Tänzerinnen ihre Pelzmäntel über und nähern sich in ihren Bewegungen an, reagieren auf ihr Gegenüber und halten ihre Kontaktpunkte aufrecht, als Wunsch, menschliches und tierisches Leben miteinander verschmelzen zu lassen.
Milla Toppi und Lauren Fitzgerald haben das Stück „Easy“ zusammen entwickelt, performt wird es allerdings nur von einer der beiden Tänzerinnen. In einer lockeren lilafarbenen Sporthose und einem hellbraunen Top betritt Lauren Fitzgerald die abgedunkelte Bühne, öffnet zunächst die Vorhänge, stellt sich dann vor das Publikum und schaut es an. Kurz darauf öffnet sie eine Tür und Vogelgezwitscher erfüllt den Raum. Zwischen den Ziegeln unter dem Fenster öffnet sie eine Schublade und „Theme from a Summer Place“ aus dem Jahr 1956 von Percy Faith ertönt. Das sanfte Streichorchester legt einen träumerischen Film auf die Szenerie, während sich Fitzgerald mit einem Regenschirm durch den Raum dreht. Von ihren sanften Bewegungen nimmt sie bald Abstand und dreht zunächst einen weißen Plastikstuhl um sich, ehe sie ihn wegschleudert. Geduckt und ohne Musik verlässt sie den Raum und entkommt so dem kurzen Traummoment.
Mit Clara Dünnebeil findet eine weitere Zimmerpflanze ihren Weg in das Studio. Neben der Pflanze modelliert die Tänzerin eine Wohnraumatmosphäre mit einem Ensemble aus Tisch, Stuhl, Kleiderstange und Bilderrahmen, welcher ein Plakat der Inszenierung von „Der Wahnsinn hat Methode“ in der Schaubühne präsentiert. Dünnebeil gibt uns „EinBlick“ in ihren Alltag zwischen Leere, Prokrastination und überschwänglichem Tatendrang. Nachdem sie eine Weile in schwarzer Bekleidung an dem Tisch sitzend verweilte, den Kopf unter ihren Haaren vergraben und wie verzweifelt ihren Kopf auf ihre Arme gestützt hat, tanzt sie mit elektronischer Musik und fährt mithilfe der rollenden Kleiderstange durch ihr Zimmer.
Eine düstere Stimmung kreieren Asya Ashman und Konstantin Koryagin in „Krepost“ (Festung) mit einem kabinettartigen Bühnenbild. Auf einer schmalen schwarzen Säule liegt ein Gussreifen mit Dornen, ein umgekippter Schrank mit Spiegel liegt auf dem Boden. Ashman trägt eine schwarze Sporthose und ein kurzes T-Shirt, Koryagins schwarze Kleidung ziert die Abbildung eines Skeletts, es scheint mit weißem Stoff aufgenäht. Mit den Möbelstücken interagieren die zwei Tänzer*innen als Untote in einem liminalen Raum begleitet von Gitarre und Schlagzeug.
Zuletzt tanzen Jeanne Binet und Sofia Seta ihr Stück „Canticles“, getarnt in gedeckten Erdtönen. Rücken an Rücken stehen sie zu Beginn, sie geben sich Rückendeckung, und bewegen sich dann langsam und zeitlich versetzt in staccato, angepasst an den Rhythmus der metallisch rasselnden Musik. Routiniert wirken ihre Bewegungsabläufe, während sie sich ihren Weg durch Raum und Zeit zu bahnen scheinen. Aus den Lautsprechern kommen Durchsagen und Gebete, sie machen mobil. Binet und Seta bereiten sich vor, und geben sich ihrem Tanz in Ekstase hin.
Die zehn sehr unterschiedlichen Performances geben einen Einblick in das vielfältige Schaffen der in Berlin wirkenden Tanzstudierenden und -alumni. Im Publikumsgespräch, welches im Anschluss an das Eröffnungsprogramm am 6. Mai stattfindet, ordnen die anwesenden Tänzer*innen gemeinsam mit den Festival-Kuratorinnen Julek Kreutzer und Diethild Meier das Bühnengeschehen ein und beantworten die Fragen der Zuschauer*innen. Sie reflektieren über die Themen, die die Tanzschaffenden antreiben, wie sie über die eigenen Lebenssituationen und die Rollen ihrer künstlerischen, tänzerischen Praxen nachdenken. Sie thematisieren aber auch, mit welchen Hürden die Tänzer*innen während der letzten Jahre zu kämpfen hatten. Hierbei wird evident, dass Plattformen wie das A.PART-Festival unabdingbar sind für das Schaffen von Sichtbarkeit der jungen Berliner Tanzszene – nicht zuletzt nach zwei Jahren Pandemie, in Zeiten von Probenraummangel und knapper Fördertöpfe. Räume zum Ausprobieren und Erfahrungen sammeln sollten stets essentieller Teil einer kreativen Szene bleiben können, und als solcher Raum ist das ada Studio einer der wenigen nicht-institutionalisierten Orte in Berlin und darüber hinaus, die aktiv den Tanznachwuchs fördern, ihm nicht nur eine Bühne bieten, sondern in einen Austausch treten und den Probenprozess begleiten.
A.PART – Festival für Berliner Tanz-Studierende & Alumni 2022 ONSTAGEPLEASE!, kuratiert Julek Kreutzer und Diethild Meier, zeigt choreografische und tänzerische Positionen von Alumni und Studierenden der Berliner Tanzausbildungsprogramme: der Tanzakademie balance 1, der ETAGE – Schule der Darstellenden Künste Berlin, des Berlin Dance Institute, des Hochschulübergreifenden Zentrums Tanz Berlin und des Dance Intensive Programms der Tanzfabrik Berlin. Detaillierte Informationen gibt es auf dem Festival-Blog. Programm 2 ist noch bis zum 19. Mai 2022 im Videostream des ada Studio zu sehen.