„happy sisyphos“, Hermann Heisig ©Angelique Preau

Wiederholungen und ihre glücklichen Verschiebungen

Hermann Heisigs „happy sisyphos“ ist ein spielerische Auseinandersetzung für junges Publikum mit dem antiken Sisyphos-Mythos, in der die scheinbare Aussichtslosigkeit der Wiederholung kollektiv in Luft aufgelöst wird.

Wirkt Wiederholung bedrohlich, weil sie scheinbar keinen Wandel zulässt? Ist sie die Manifestation unserer widersprüchlichen Existenz mit ihren entfremdeten Routinen – und damit Grund für Resignation und Depression? Oder liegt in der Wiederholung nicht auch etwas Beruhigendes und Angstlösendes, das Verlässlichkeit und Halt verspricht? Dieses Potential der Wiederholung, in der Vergangenheit zugleich Zukunft ist und andersherum, liegt nicht in der Alternativlosigkeit, sondern in den minimalen Differenzen, die Wiederholung absichtslos ermöglicht – und Hermann Heisigs Stücks „happy sisyphos“ scheint bereits im Titel darauf zu verweisen.

„Kennt ihr die Geschichte vom Sisyphos?“, fragt Hermann Heisig in die Runde des sehr jungen Publikums. Ein Mädchen – vielleicht 12 Jahre – meldet sich sofort zu Wort und fasst pointiert zusammen: Die Geschichte handele von einem Gott, der bestraft wurde, weil er betrogen hat. Und der deshalb verdammt wurde, einen Felsbrocken den Berg hinauf zu rollen, der aber kurz vor dem Gipfel immer wieder herab rollt. Damit wäre ziemlich gut zusammengefasst, wovon der antike Mythos handelt. „Dann könnten wir ja alle wieder nach Hause gehen“, kommentiert Hermann Heisig – aber natürlich geht es nun gerade jetzt weiter, weil die Geschichte anders erzählt und neu verhandelt werden soll: rhythmisch, chorisch, spielerisch und mit Gesang – das alles immer im Dialog mit dem jungen Publikum. 

Hermann Heisigs Stück „happy sisyphos“, das nach zwei covidbedingten Verschiebungen am 21. Mai 2022 im Rahmen der diesjährigen Potsdamer Tanztage in der fabrik Potsdam uraufgeführt wurde, ist für Kinder ab 8 Jahren konzipiert und nähert sich dem griechischen Mythos über Rhythmus und mithilfe weniger, phantasievoll eingesetzter Requisiten – einem Koffer, vollgepackt mit Kostümen, einer Leiter, einem Gymnastikball und einem Haufen Sitzkissen, die immer wieder neue Räume und Landschaften entstehen lassen. Mit Witz und Wiederholungen führen die Performer*innen (Ayşe Orhon, Hermann Heisig, Thomas Proksch) durch die Geschichte von Sisyphos, seiner Begegnung mit dem Todesgott Thanatos, wie er diesen austrickst und den Tod besiegt – aber was passiere dann, wird wieder in die Runde gefragt? Das schlaue Mädchen entpuppt sich als Philosophin: „Dann werden wir Menschen überflüssig sein.“ Unterdessen werden wir weitergeführt auf seiner Reise in die Unterwelt der Toten, seine kurze Rückkehr ins Diesseits der Lebenden – und schauen schließlich seinen mühseligen, scheiternden Versuche zu, den Fels auf den Berg zu hieven. Vielleicht zu wenig mit Einzelheiten des Mythos und seinen Rezeptionen vertraut, vielleicht aber auch meiner eigenen Kindheit entfremdet, verliere ich etwas den Überblick, verwirrt vom leicht wuseligen Bühnengeschehen, das aber andererseits in den gebannten und konzentrierten Gesichtern der Kinder ein Echo zu finden scheint. Es ist schön zu beobachten, wie aufmerksam auch die sehr kleinen Kinder im Publikum sind für szenische Nuancen und Details, wie spontan und offen sie auf partizipative Angebote eingehen, sodass auch kleine, vermeintlich mißglückende Momente sich wie gewollt in die Inszenierung einfügen.

Nichtsdestotrotz frage ich mich: Was signalisiert „geeignet für Kinder ab 8 Jahren“? Sollte es auch mich, die ältere, erprobte Zuschauerin über 30 ansprechen? Aber wieso bin ich dann fast die einzige erwachsene Zuschauerin, die ohne Kinderbegleitung hier ist? Ist es also doch eher ein Stück für Kinder und weniger auch für Kinder?

„happy sisyphos“ ist eine Produktion von explore dance – Netzwerk Tanz für junges Publikum, ein von TANZPAKT Stadt-Land-Bund gefördertes bundesweites Netzwerk, dass seit 2018 nachhaltige Strukturen zur Produktion zeitgenössischer Tanzstücke für ein junges Publikum fördert. Die in diesem Rahmen entwickelten Stücke entstehen im engen Dialog mit Kindern und Jugendlichen. Workshops in Schulen, und umgekehrt Probenbesuche der Schüler*innen sind integraler Teil des künstlerischen Arbeitsprozesses, sodass ein „Austausch auf Augenhöhe“ stattfinden kann, wie die Projektmitarbeiterin Jeanne Chapy es formuliert. Kennt sich das junge Mädchen deswegen so gut mit dem Mythos aus? Und andersherum gefragt, profitiert die Art der Inszenierung eines Stücks von einer solchen kommunikativen Verschränkung mit dem Publikum?

Mit den Worten, dass Wiederholung auch etwas Positives sei, werden wir zu einem abschließenden Gruppenritual eingeladen. Wir verlassen die Studiobühne und gehen nach draußen ins Freie, wo wir kollektiv einen riesigen imaginären Felsbrocken formen, den wir gemeinsam heben, so dass er ganz leicht wird – bis er sich schließlich in Luft auflöst. Sisyphos könnte ein glücklicher Mensch sein, wenn er, anstatt als Einzelkämpfer andere auszutricksen, sich mit ihnen verbünden würde.


„happy sisyphos“ (8+) von Hermann Heisig (Performance: Ayşe Orhon, Hermann Heisig, Thomas Proksch; Dauer: 30 Minuten) wurde am 21. Mai 2022 im Rahmen des Festivals Potsdamer Tanztage im Studiohaus der fabrik Potsdam uraufgeführt.