„EQUALITY!“, Company Lindh & Weingartner ©Matthias Wäckerlin

Dieses Gleich und jenes Gleich sind nicht dasselbe

Menschen aller Geschlechter sind gleich. Alle sind gleich. GLEICH! GLEIIIIIIIIICHHH! Ist das nicht mittlerweile klar? „EQUALITY!“, ein Duett der Compagnie Lindh & Weingartner, richtet sich an ein junges Publikum und bringt die uralte Diskussion über die Gleichberechtigung der Geschlechter auf die Bühne. Präsentiert bei der Eröffnung von PURPLE – 6. internationales Tanzfestival für junges Publikum in den Uferstudios am 31. Mai 2022, wird in der Performance das Thema Gleichberechtigung, in Großbuchstaben und mit einem Ausrufezeichen, auf den Punkt gebracht.

Ein Mann und eine Frau machen sich bereit für ein Kräftemessen, um ihre Gleichheit zu beweisen. Ich lasse mich auf einem der Stühle nieder, vielleicht mit einer ähnlichen Spannung, wie ich sie (wäre ich damals schon am Leben gewesen!) bei dem großen Tennismatch „Battle of the Sexes“ zwischen Billy Jean King und Bobby Riggs vor fast fünf Jahrzehnten empfunden hätte.

Meine Annahme, dass diese Frage für mein spezifisches soziales Milieu und meine Generation – zumindest intellektuell – bereits geklärt war, wird durch die große Zahl von Erwachsenen, die die Aufführung besuchten, in Frage gestellt. Erwachsene ohne Begleitung von Kindern, möchte ich hinzufügen. Nach meiner Erfahrung mit der gelebten Realität bleibt der Kampf um die Gleichstellung der Geschlechter sicherlich ein Kampf unserer Zeit. Jetzt, da die geschlechtsangleichende Hormonersatztherapie immer leichter zugänglich und gängiger wird, werden die Nuancen der Gleichstellung der Geschlechter weiter diskutiert und ausgepackt. So wurde beispielsweise im März 2022 der Sieg der Leistungsschwimmerin Lia Thomas bei der NCAA in der Frauenkategorie, nach ihrer „medizinischen“ Geschlechtsumwandlung wegen der vermeintlichen Vorteile, die ihr vergangenes Leben als männlich gelesene Person mit sich brachte, angefochten. Ich bin also gespannt, wie der Begriff der Gleichheit durch eine andere körperliche Dimension, wie den Tanz, erforscht und erweitert werden kann.

Rebecca Weingartner und Benjamin Lindh Medin schaffen gemeinsam ein Stück mit viel Energie, Körperlichkeit und Humor. Absurde Possen, die sie sich ausgedacht haben, um sich gegenseitig körperlich herauszufordern, prägen das choreografische Material und treiben das Gespräch über das Thema voran. „EQUALITY!“ beginnt damit, dass die beiden Performer*innen den Aufführungsraum als ein einziger Körper betreten. In einem Wirrwarr aus Händen und Beinen klammern sie sich so aneinander, dass der eine aufsteht und sich dem Publikum zuwendet, während die andere auf dem Kopf steht. Sie erscheinen wie umgekehrte Spiegelbilder voneinander. Wenn sich die Spiegelbilder voneinander lösen, treffen wir Weingartner, die weibliche Kandidatin und Lindh, den männlichen Kandidaten, auf ihrer Suche nach Gleichberechtigung.

Durch einen Austausch über ihre Vorlieben und Abneigungen betonen der Mann und die Frau zunächst ihre Gemeinsamkeiten und dann auch ihre Unterschiede. Ihre Ähnlichkeit in der Vorliebe für die Farbe Grün und Brokkoli entwickelt sich bald zu einer Gleichheit in ihren persönlichen Eigenschaften. Sie verkünden und feiern dann, dass sie gleich lustig, gleich schön, gleich hässlich und gleich emotional sind. Die Tatsache, dass das deutsche Wort „gleich“ sowohl „gleich“ (in allen Merkmalen übereinstimmend) als auch „gleich“ (ebenbürtig) bedeutet, wird von den Darsteller*innen geschickt genutzt, um Übergänge in ihrer choreografischen Dramaturgie zu schaffen und die Idee der Gleichheit zu verkomplizieren: Bedeutet Gleichheit absolute Gleichheit? Können wir gemeinsam gleich einzigartig sein?

Das Duo fordert sich gegenseitig heraus, indem es eine Reihe von Kunststücken vorschlägt, von Purzelbäumen und Hip-Hop-Moves bis hin zu komischen Bewegungen, die eine Waschmaschine imitieren. Jede Herausforderung wird vom Gegner mit einer kompetenten Erwiderung beantwortet, indem er*sie die Bewegung wiederholt. Die Antwort ist vielleicht nicht immer gleich beeindruckend, aber auf jeden Fall einzigartig – und das ist etwas, was sie aneinander schätzen. Weingartner und Lindh, mit ihren beiden schlanken Körpern, füllen den kreisrunden Aufführungsraum mit ihren energiegeladenen Bewegungspartituren und ihrer Bühnenpräsenz. Sie gehen intuitiv auf die Kinder und Erwachsenen im Publikum ein und bringen viele der Erwachsenen zum Kichern.

Der Mann und die Frau werden beim Sparring, beim Verrenken und beim Vergleich ihrer körperlichen Fähigkeiten gezeigt. Mir kommt der Gedanke, dass die Gleichheit in diesem Wettbewerb vor allem in greifbaren, quantifizierbaren Begriffen gemessen wird, die sich auf eine bestimmte Art der Kraftdarstellung beziehen – wer kann mehr spektakuläre Rückwärtssaltos machen? Wer kann wen länger tragen? Wer kann wen übertrumpfen? Innerhalb der physischen Dimension fehlte mir irgendwo die Gelegenheit, den Begriff von Stärken und Fähigkeiten im Zusammenhang mit der Diskussion über die Gleichstellung zu erweitern. Wer kann die meiste Wäsche zusammenlegen? Wer kann den schönsten Zopf flechten, wenn beide Darsteller*innen gleich lange braune Haare haben? Wer kann die wärmsten Umarmungen geben? Kinder sind, oft mehr als Erwachsene, in der Lage, diese Feinheiten zu erfassen.

Obwohl sie diese Nuancen umgehen, schaffen Weingartner und Lindh gemeinsam in „EQUALITY!“ viele Momente, in denen die harte Schale durchbrochen wird. Sie brechen häufig in Gelächter aus und sind manchmal sehr nachdenklich. Außerdem wechseln sie ständig ihre Positionen – mal konkurrieren sie miteinander, mal feuern sie sich gegenseitig an und unterstützen sich. Ihr maskierter Wettbewerb endet häufig in einer körperlichen Doppelbindung, in der sich Hände und Füße verheddern. Es ist klar, dass die einzige Möglichkeit, sich aus dieser Zwickmühle zu befreien, darin besteht, zusammenzuarbeiten, manchmal mit Hilfe von jemandem aus dem jungen Publikum, manchmal durch Sanftmut. Auf diese Weise gleiten wir auch in Momente der Verletzlichkeit, wenn die Darsteller*innen von Situationen aus ihrem Leben erzählen, in denen sie offensichtlich nicht den erwarteten Geschlechternormen entsprochen haben. Kurz gesagt: „EQUALITY!“ setzt sich mit der Vorstellung von Geschlecht als fließendem Spektrum auseinander.

Während ich dies schreibe, wird mir bewusst, dass die Darsteller*innen bis zum Ende des Stücks nie erwähnen, dass sie einen Mann und eine Frau spielen. Sie erwähnen viele andere biografische Details und verschiedene andere Lebensdaten, aber nie ihr Geschlecht. Erkennen Kinder (die, die Programmhefte nicht lesen) diesen Wettbewerb der Gleichheit sofort als einen zwischen den Geschlechtern? Wie stünde es um die Vermutungen der Erwachsenen im Publikum, würde auf der Straße performt, ohne dass jede*r Passant*in einen Programmzettel erhält?

EQUALITY!“ macht den Weg zur Gleichberechtigung der Geschlechter zu einer ausgelassenen Party, die teils schelmisch, teils sanft anregend ist.

Übersetzung ins Deutsche von Alex Piasente

Foto: “EQUALITY!” von Company Lindh & Weingartner ©Matthias Wäckerlin


“EQUALITY!” (9+) von Company Lindh & Weingartner war am 31. Mai und 1. Juni 2022 im Rahmen von PURPLE – 6. Internaionales Tanzfestival für junges Publikum in den Uferstudios Berlin zu sehen. Das Festival PURPLE läuft noch bis zum 4. Juni 2022, die Programmübersicht, den Spielplan sowie die Ticket-Konditionen finden Sie auf purple-tanzfestival.de.