Mit „Down to Earth“ gelingt Kieron Jina, Marc P. Gabriel und Yogin Sullaphen bei den ersten Open Spaces 2017 der Tanzfabrik ein malerischer Verwandlungsreigen
Erstmal richtig aggressiv sein – ein Trick, der funktioniert. Alles, was danach kommt, wirkt dann so versöhnlich, so nett, so nahbar, wie ein Geschenk des Himmels für einen Günstling besonderer Umstände. Diesen Trick hat der südafrikanische Musiker Yogin Sullaphen gut drauf. Als wir die Uferstudios 4 für die Performance „Down to Earth“ im Rahmen von Open Spaces # 1-2017 betreten, ballert er uns Noise entgegen. Bis das Licht ausgeht und das Stück beginnt. Nur das etwas phosphoreszierende Blau seines Overalls zeugt davon, dass er noch da ist. Behutsam baut er folglich die Töne von Klangschalen, Schellentrommel, Zimbeln, Gummitieren, Vögeln, Aasgeiern zu einem wachsenden Klangteppich zusammen, legt Beats drunter, lässt durch schrille Pfiffe das Treibende militaristisch klingen und wieder umschwenken in bluesartig rhythmisierte Gitarrenmeditation. Sullaphens akustisch-elektronische Musik saugt einen tiefer ein als Ambient und gerinnt doch nicht zu einzelnen Nummern, bleibt flächig, aber mit großer Plastizität.
Wie eine Fata Morgana spiegelt sich sein wie eigenlichthaltiges Blaukostüm am Anfang im Raum: Zwei bläuliche Inseln scheinen auf. Unter warm gefilterten Spots, die für einen Hauch Magie über allem sorgen (Licht: Gretchen Blegen), nehmen sie Konturen an – auf der einen Seite zwei blaue Müllsäcke, auf der anderen zwei ineinander verschraubte Figuren, zwei Männer mit blauen Strumpfmasken, ansonsten nackt. Unattraktiv sind sie nicht und darauf verlassen sich die Performer*innen Kieron Jina aus Südafrika und der Berliner Marc Philipp Gabriel gelegentlich etwas zu sehr. Aber die Nacktheit ist dennoch keine Show, sondern gut gewählt für die tropisch wirkende Memento-Mori-Atmosphäre von „Down to Earth“.
Das Stück ist, um die stimmige Programmheftinfo zu variieren, ein Hybrid aus kulturellen Artefakten, sozial kodierten Tänzen und Musiken, ein spielerisch exotistischer Reigen, der die Lust an der Aneignung, an der Verwandlung, am Identitätswechsel genauso wenig wie das Irrlichternde dazwischen verleugnet. Und all das sortiert sich, gerahmt von der U-förmigen Publikumsanordnung (an der vierten Seite begrenzen Musik- und Lichtpult das Geschehen) fast stilllebenartig in ein malerisches Lebend-Tableau. Das Malerische hat vor allem auch mit der Kombination des Lichts mit den Farben der aus den Müllsäcken herausgeschüttelten Gegenstände zu tun: Von Besenstil und Kuchenform über Quietschtier bis hin zu Kleidungsaccessoires wie Schal, Schürze, Wickelröckchen variieren sie ein breites Spektrum kräftiger und gedeckter Mischfarben.
Dieser Gebrauchsplunder, der wirkt, als sei er aus den Schränken weiblicher Haushaltsmitglieder willkürlich zusammengesucht (Ausstattung: Marie Fricout), ist die Garderobe für die Rollenwechsel der Performer*innen. Mal sind sie griechische Speerwerfer, mal Fechter, propere Schwangere mit Vietnamesenhut, Voguer in der Kategorie Bizzare, ungleiche Stammestänzer (von denen einer ständig seinem Schwerpunkt hinterherjagt wie ein Albatros mit Startschwierigkeiten), Zeugen eines ebenfalls mit der Schwerkraft kämpfenden Roboterauftritts (der allerdings nicht aus dem Müllsack, sondern scheinbar direkt aus dem All kommt), und schließlich wilde Wrestler, die sich mit dem gesamten Plunder wie mit Glücksutensilien behängen. Als gelte es, all den Pomp, der ihnen so gut steht, aber doch nicht passen will, nun zu bekämpfen. Gewinner ist, wer dem Gegner die blaue Strumpfmaske entreißt. Hier wäre ein dramaturgischer Wechsel denkbar gewesen, eine Befreiung von Codices und Rollenspiel hin zu etwas anderem. Aber dieses Andere wird verzögert und das Bildergleiten nimmt eine letzte Wendung. Dem hingestreckten Leib des Besiegten Jina wird nun ein üppiges Begräbnisritual zu Teil, indem Gabriel die gesamten Utensilien in Ton-in-Ton-Farbübergängen auf dessen Körper anordnet.
Warum ist dieses Faken von Ritualen, dieser bunte Ethnokitsch so gut? Vielleicht, weil es so leicht fällt, das Verführerische daran mitzuerleben und weil gleichzeitig die Komik der sich nicht erfüllenden Verzauberungsversuche immer wieder unausgesprochen durchscheint. Und auch, weil bei dem multi-ethnischen Globehopper-Cast klar wird, wie dünn die Grenzen sind zwischen Enteignung, Aneignung und Eigensein in einer Welt gegenseitiger Abhängigkeiten und Einflussnahme. Nur dass die Performer dann am Ende, wenn Jina aus seiner Beerdigungsnummer und Gabriel aus seinem assimilierten Todesmoment auferstanden sind, auf die Idee kommen, als sie selber, das heißt zumindest masken- und plunderfrei, zu tanzen, enttäuscht. Sie können es schlicht nicht. Jinas großer Körper wirkt plötzlich tapsig, Gabriel manövriert sich durchs Ungefähre. Es ließe sich argumentieren, dass auch dieses Auferstehungshopsen, das nach Urwaldgeistern bei der dritten Tanzstunde aussieht, nur eine weitere Variation des Als-Ob ist und damit genauso wie die vorigen Szenen als Fake durchgeht. In dem Fall aber würde die Befreiung von Kostüm und Masken keinen dramaturgischen Sinn ergeben. Außer vielleicht als eine Art Bekenntnistanz im Sinn von des Kaisers neue Kleider, der am Ende eben nackt dasteht.