„Not Good Alone“, Hanna Hegenscheidt © Dieter Hartwig

Shuffle, Repeat, Play

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In der Mitte der aufsteigenden Tribünenstufen liegt die Bühne, offen und weiß. Am Boden große Holzplatten, flach wie verwahrloste Kinderfahrräder, die jeden Moment genommen und nach Belieben gefahren werden könnten. Eine Performerin, Alltagskleidung, dunkel, dreht einen Stuhl in seine aufrechte Position und setzt sich. Drei andere Performer*innen sind im Raum verstreut als wären sie per Würfelwurf auf ihren Positionen gelandet. Die Spannung ist deutlich zu spüren, als sich alle Augen auf die Performerin auf dem Stuhl richten. 

Mit ihrer ersten Phrase adressiert sie einen anderen Performer, blond, zu ihrer Rechten. Er antwortet – sein Körper ahmt die Bewegungen eines Barkeepers nach. Er produziert einen Drink aus einem imaginären Zapfhahn und die immaterielle Architektur des Raums im Raum wird sichtbar, als er sich, elegant, auf die Bar stützt. Ihr rascher Dialog beschwört Bilder nächtlicher Begegnungen zwischen Unbekannten herauf. Später, als die Luft vom Rauch einer Zigarette, deren kleine Wolken durch den Raum schweben, schwer wird, verstärkt sich die Atmosphäre der Verführung noch. Ich bin etwas in ihren Bann gezogen und kann nachempfinden, wie sich ihre flüchtige Welt anfühlt, die seltsam entrückt scheint, als sie auf der offenen weißen Leinwand der Kollaboration „Not Good Alone“ von Hanna Hegenscheidt, Uli Huhn und Chris Gylee zum Leben erwacht.

Dieser Austausch zwischen Unbekannten ist ebenfalls die Eröffnungsszene in Fassbinders Film von 1974 „Angst essen Seele auf“. Aber im Gegensatz zur Ordnung der Ereignisse im Fassbinderfilm löst sich die Szene schnell auf und findet zu einer neuen Konstellation. Die Karten sind neu gemischt und die Performer*innen finden sich in neuen Positionen, anderen zu erprobenden Momenten wieder. Mit ihren Worten und Bewegungen channeln sie die Charaktere des Films, greifen ihre Dialoge auf, versetzen sie an neue Orte und in neue Kontexte. Es erinnert mich an einen chirurgischen Eingriff, bei dem der Organismus einer genauen Untersuchung mittels akribischer anatomischer Zerlegung seiner Organe unterworfen wird.

Auch Chris Gylees Bühnenbild wirkt wie ein Organ. Die Performer*innen heben eine Holzplatte nach der anderen an, als würden sie die Segel eines Schiffes hissen und stimmen deren Höhe auf die wechselnden Winde ab. Verschiedene Anordnungen materialisieren sich: Die Elemente der anfänglichen zerklüfteten Antiform werden zu einer Linie umorganisiert, die die Bühne in zwei Teile zertrennt, und später werden sie zu zwei Inseln zusammengebracht. Die Wände sind solide und gleichzeitig transparent (aufgrund der Fenster) sowie durchdringbar (aufgrund der Tür). Die Performer*innen folgen den Vorgaben des Sets, bewegen sich in die neu entstandenen Bereiche und aus ihnen heraus und aktivieren so die schwimmenden Vorrichtungen mit filmischer Dringlichkeit.

Verlockend sind die unendlichen neuen kombinatorischen Möglichkeiten, die eine gewisse Zeitlosigkeit vermitteln. Zuweilen zieht das Tempo an und Geräusche und Stimmen ertönen alle zur gleichen Zeit. Diese plötzlichen Energiewellen klettern auf einen klimaktischen Höhepunkt zu – aber dieser wird nie erreicht. Der vermeintliche Berg entpuppt sich als Hügelchen, kleiner Bogen, süße Versuchung. Was mich in der Schwebe zurücklässt und in einem verwirrten Zustand. Wiederholung erlaubt es mir, Verbindungen herzustellen und mit dem Material vertraut zu werden, aber die zugrundeliegenden Muster bleiben unaufdeckbar. Ich tanze, etwas unbeholfen, zwischen Frustration und Ehrfurcht hin und her. 

Die Re-Performance der Filmausschnitte hat einen universellen Reiz. Die einzelnen Handlungen sind simpel: Die Performer*innen nehmen Drinks, bewegen sich um ihre Häuser herum, sitzen auf Stühlen oder kollabieren zu Boden. In der Wiederholung und Fragmentierung dieser täglichen Gesten zeigt sich ihre Komplexität. Und die sensiblen Momente, die dieser abgespaltenen Landschaft entspringen, überzeugen mehr noch durch ihre Aufrichtigkeit. Englisch, Deutsch und schlechtes Deutsch vermischen sich. Hegenscheidts Choreografie lässt Raum für Reflexion und richtet einen ausweitenden Fingerzeig hinter das Hier und Jetzt. Sie ist getragen, behutsam wie zurückhaltend, von der vielseitigen Fassbinder-Playlist. 

Deutsche Übersetzung von Wenke Lewandowski