„B U R S T!“, ALLEN´S LINE © Julyen Hamilton

Wohnzimmerpoesie

Die Company ALLEN’S LINE von und mit Julyen Hamilton bewegt sich mit ihrem neuen Stück „B U R S T !“ in einer Orchestrierung von Poesie, Tanz, Text, Stimme und Bewegung. In ihrer Instant Composition-Improvisation im DOCK 11 teilen sie Momente zum Zeitpunkt des Entstehens zwischen sich selbst und mit dem Publikum.

Julyen Hamilton sitzt auf einer fast leeren Bühne auf einem zusammengerollten Teppich und eröffnet die Performance mit einem Monolog. Die Worte bleiben mir nicht im Gedächtnis, sondern behalten für mich etwas Abstraktes. Sie lassen sich fast so wenig greifen, wie es immer wieder auch der Bewegung und dem Tanz zugeschrieben wird. Das Flüchtige, das so genuin als Eigenschaft von körperlichen Bewegungen aufgefasst wird, dehnt sich in „B U R S T !“ auf die poetische, scheinbar nicht narrative Aneinanderreihung von Worten aus.

Die Company ALLEN’S LINE wurde 2009 von dem Tänzer und Poeten Julyen Hamilton gegründet und ist Brüssel-based. Die Stücke verbinden Text, Poesie, Stimme mit Bewegung und Tanz und arbeiten mit Instant Composition, einer Spielart in der Improvisation, die als Kompositionstool verwendet wird, um die spontane kreative Intelligenz der Performerinnen zu trainieren und zu nutzen. Auch in „B U R S T !“ geht es eher um Entwurfsprozesse zwischen den fünf Performerinnen als darum, individuelle Techniken oder Bewegungsqualitäten zu entwickeln. Ein Aufeinandertreffen der Materialitäten von Worten, Text, Stimme und Bewegungen steht im Vordergrund. Hier soll keine Handlung vermittelt werden, vielmehr wird mit Texturen und Klängen experimentiert und improvisiert. Julyen Hamiton selbst nennt es „[e]in Theater der Unmittelbarkeit, der dringenden Wünsche und Einsichten. Direktes Handeln, frei von Verwirrung durch Pläne“.

Manchmal scheinen die Performerinnen von ihren eigenen artikulierten Textfragmenten und Bewegungsmustern überrascht zu sein. Die Szenen, Situationen und Konstellationen wechseln schnell, ohne kohärente Übergänge herzustellen. Dies scheint auch nicht notwendig, da die Instant Composition nicht die Absicht hat, eine in sich geschlossene Handlung zu erzählen. So deutlich wie nie spüre ich die Zerrissenheit zwischen Schreiben und Schauen. Ich merke, dass ich Situationsbeschreibungen notiere, die zeitlich immer etwas zu spät sind und in ihrer Bruchstückhaftigkeit vielleicht gerade eine eigene, eine andere Performance konstruieren. Ich ärgere mich, kurze Momente der Performance zu verpassen, während ich im Halbdunkel in mein schwarzes Notizbuch kritzele. Gleichzeitig verfolge ich die Sequenzen der Company-Mitglieder, die immer wieder anhalten, als ob man Satzzeichen zwischen den einzelnen Bewegungsfragmenten setzen würde. Wie die Suche nach einer Syntax, die die Freiheiten der Poesie genießt und die Ebenen von Sprache, Text, Klang und Bewegung verwebt ohne Verstehen im hermeneutischen Sinn produzieren zu müssen. Es sind keine illustrativen Gesten, die Gesagtes verdoppeln. Eher werden der Klang der Worte und Stimmen in Bewegung übersetzt, indem nach einem gemeinsamen Rhythmus oder einer ähnlichen Qualität gesucht wird. Im Hintergrund der Monologe und Dialoge ploppen einzelne Bewegungen der Tänzerinnen auf. Zarte Bewegungen, die kurz innehalten, um dann in einen kraftvollen Sprung überzugehen, der von scharfen, linearen Armbewegungen begleitet wird. Es liegt etwas Minimalistisches darin, dass, so Julyen Hamilton, auf „alles Überflüssige“ verzichtet wird.

Der Blick der Performer*innen geht oft ins Leere und manchmal fühlt es sich so an, als ob es für die Tanzenden keinen großen Unterschied machen würde, ob ein Publikum anwesend ist oder nicht. Etwa, als hätte man sich in eine Probensituation hinein geschlichen, in der man hofft, das Geschehen nicht zu manipulieren, und beobachten kann, was eigentlich vor dem Moment der Aufführung passiert.
Im Laufe des Abends entwickeln sich dann aber doch noch konkrete Geschichten zwischen den Performenden. Julyen Hamilton sitzt noch immer auf der Teppichrolle, während sich Paolo Cingolani dazu setzt.
J.H: I think I should stay.
P.C.: Yes, a couple of hours more. Can I join?
J.H.: I think you already did.

Später sitzen Maya M. Carroll und Julyen Hamilton nebeneinander auf dem graubraunen Sofa. Und folgen ihrem jeweils eigenen Monolog. Auch die Bewegungssequenzen wirken manchmal wie Selbstgespräche oder Dialoge mit unsichtbaren Gesprächspartnern. In einer anderen Szene wechselt Maya M. Carroll immer wieder den Sitzplatz auf dem Sofa, um die physische Abwesenheit ihres Gegenübers zu betonen; zumindest bilde ich mir das ein, denn der Fake-Dialog findet auf Hebräisch statt, sodass sich der sprachliche Inhalt mir nicht erschließt.

Es ist ein Abend voller abstrakter Sprach- und Bewegungsmomente und kurzer Interaktionen zwischen den Performer*innen in schneller Abfolge. Wortspiele, Mono- und Dialoge, Stimmen, Töne und Berührungen werden zu Momenten des Teilens innerhalb der Companymitglieder, die zum Zeitpunkt ihres Entstehens roh, unmittelbar und ungeschliffen auf ein Publikum treffen.