niv Acosta und Jaamil Olawale Kosoko setzen sich bei Tanz im August mit rassifizierenden Haltungen auseinander
Ein schwarzer, knapp bekleideter Po groovt vor hauptsächlich weißem Publikum. Was nun? Hingucken, weggucken, das Theater verlassen, sich schuldig fühlen oder selber strippen? Vielleicht wäre letzteres die beste Lösung. Nein, ich bin nicht interessiert am suggerierten Exotismus von einem twerkenden Arsch, ich werfe meinen eigenen mit in die Schlacht.
Aber was, wenn der eigene längst nicht so sexy ist, in einer
ausgeleierten Unterhose steckt oder einfach keine guten Moves kurven
kann? Das durchzustehen wäre dann schon die hohe Schule der
Partizipation. Wer etwas sehen lassen will, muss auch was zum Hingucken
haben – oder es sich zumindest einbilden. Eitelkeit spielt eine Rolle,
zumindest solange kein Zwang im Spiel ist. Es ist diese seltsame
Mischung aus Eitelkeit und bitterem Vorwurf an einen
kolonialgeschichtlich geprägten, affektgeladenen Blick, die bei der
Tanz-im-August-Performance „Discotropic” des New Yorker Performers niv
Acosta in der Luft hängt. Verdichtet noch durch ein u-förmiges System
von Laufstegen, wodurch das Corpus Delicti so etwa auf Augenhöhe, oder
gar in Untersicht, der Betrachtenden erscheint.
Performances, die sich mit rassifizierenden Haltungen auseinandersetzen,
sind der Diskursschwerpunkt, den Virve Sutinen beim diesjährigen Tanz
im August gesetzt hat. Innerhalb eines eher ästhetisch kuratierten
Programms entlang einer europäisch-US-amerikanischen Traditionslinie im
Tanz stechen viereinhalb „schwarze” Positionen, allesamt aus den USA
und Kanada, in ihrer expliziten performativen Einbindung von
Körperpolitiken heraus. Auch der vom Festival ausgerichtete Vogue-Ball
und eine Diskussion zum Voguing docken hier an – einschließlich der
Tatsache, dass die Panel-Teilnehmer*innen die Absetzung des weißen
Moderators, eines unbestrittenen Vogue-Experten, durchsetzten. Während
sich Acosta in „Discotropic” jedoch künstlerisch wenig abwechslungsreich
an der Kollektiverbsünde seines Publikums (das wohl auch für all jene
Gucker von Popvideos steht, in denen Twerking im Zeichen des Lustgewinns
appropriiert wird) abarbeitet, lieferte der nigerianisch-amerikanische
Lyriker und Performer Jaamil Olawale Kosoko mit „#negrophobia” die
vielschichtigste Arbeit zum Thema.
Wo Acosta eine simple und wenig entwicklungsfähige dramatische
Konfrontation schafft, indem er eine Generalisierung des schwarzen
Körpers mit einer Generalisierung des weißen Blicks beantwortet, bricht
Kosoko die Blickachse zwischen Suggestion und individueller Wirklichkeit
schon dadurch auf, dass seine Mitperformerin IMMA/MESS
ihn fast über die gesamte Strecke hinweg filmt. Das Handy-Videobild
wird direkt in den um eine X-förmige Spielfläche (eine Anspielung auf
das X von Malcolm X?) angeordneten Zuschauerraum übertragen. So entsteht
immer ein doppeltes Bild: das der Betrachter*innen aus dem
Zuschauerraum und das von IMMA/MESS, die im
Unterschied zu Kosoko einen queeren, in Transition begriffenen Körper
hat (der außer mit High Heels nur mit einem Tanga bekleidet ist). Diese
Brechung des Blicks markiert, dass hier ein Spielraum innerhalb von
statischen historischen Zuweisungen entstehen soll.
Diesen Raum beherrscht der Tod von Kosokos Bruder, symbolisiert durch
einen in die amerikanische Flagge eingewickelten Sarg. Woran er
gestorben ist, wird wohl bewusst offen gelassen. Im Internet ist ein
Eintrag von der Wochenzeitung Westword (aus Denver/Colorado) zu finden,
in dem von einer Messerstecherei die Rede ist. Zudem ein kleiner
Nachruf, der dem Toten seine Armee-Mitgliedschaft und seinen Einsatz im
Kampf gegen den Terror bezeugt. Diese Lebensgeschichte, spiegelt – ob
sie nun zum Stück gehört oder nicht – die tiefe Verstrickung zweier
dekadenter Gesellschaftshälften: einer euro-amerikanisch geprägten, von
weißen Suprematsexzessen getriebenen, und einer afro-amerikanischen, die
im Kampf um Anerkennung und Emanzipation das Ziel und damit den Halt
verliert.
Dieser Verstrickung nähert sich Kosoko in den Sneakers seines Bruders,
nicht jedoch auf dessen persönlichen Spuren. Vielmehr wird die eigene,
auch ansonsten tragische Familiengeschichte eingebettet in
afro-amerikanische Kulturgeschichte – von der Europakritik James
Baldwins, den Emanzipationsbewegungen der 1960er-Jahre, lyrischen
Reflexionen zu liebesunfähigen Müttern und vergeblicher Anstrengung („If
we are twice as good we can escape history”) bis zu Afro-Futurismus und
Post-Blackness. Dem setzt Kosoko Loops von Polizeigewalt-Videos der
letzten Jahre gegenüber, die während der 80-minütigen Performance
ständig präsent sind.
Es ist dieses Spannungsfeld, in das er auch das Publikum verstrickt, mal
empathisch, mal feindlich adressiert. Am Ende ist es ein bisschen wie
bei Meg Stuart: Bunt, zerstreut, queer-feministisch und nur durch
schamanistische Rituale zu überleben. Nichts ist erledigt, einiges aber
durchfühlt.