Tarren Johnson erzählt im Acker Stadt Palast ein sexuelles Einweihungsritual mit den Mitteln der tänzerischen Moderne.
War das vor 100 Jahren oder ist das heute? Ein Flashback, ein Déjà-vu? Viele Zeiten mischen sich bei der Uraufführung von Tarren Johnsons „Faucet“, der dritten Arbeit der Kalifornierin für den Acker Stadt Palast. Die Berliner Location strahlt ein poröses 90er-Flair mit Hausbesetzer-Anarcho-Plunder aus, das muffig-feuchte Blackbox-Theater riecht nach tausendjähriger Gruft, dazu eine Bühnensprache wie für Sigmund-Freud-Probanden entworfen, gepaart mit einer Musik, die ein bisschen jetztzeitiges Rauschen, ein paar verschwommene, modalmusikartige Chorphrasen, Varieté und New-Orleans-Jazz bereit hält.
Am Anfang ist Dunkelheit, nur durchspurt von einem unsteten Ultraviolettlicht. Eine eingespielte Männer- und eine Frauenstimme berichten von etwas ganz anderem als dem, was die Zuschauer in diesem Moment sehen: von Bäumen, Strand, Geschehnissen auf einem Balkon. Im Bühnenraum schälen sich dagegen langsam Gestalten aus dem Dunkel: ein lebender Frauenkörper in Dessous und transparenten Plastikreifen um Brust und Stirn, umgeben von vier offensichtlich leblosen Figuren – nackten Strumpfpuppen, die während der gesamten Aufführung im Dämmerbereich bleiben und, bis auf den blondhaarigen, leichenhaft verzerrten Frauenkörper, erst nach dem Schlussapplaus näher betrachtet werden können. Die schlangenköpfige Puppe links hinten an der Wand könnte einen Luzifer darstellen, in der hinteren rechten Ecke berührt eine Puppe den Venushügel der anderen.
Auch ohne das anfangs genau identifizieren zu können, liegt eine sexuelle Schwüle in der Luft. „Faucet“ heißt übersetzt Wasserhahn, was nach einer Metapher für Sexualorgane klingt. So verwundert es nicht, dass in der gefühlten hohen Luftfeuchtigkeit auch eine kleine verschattete Dschungelinsel mit tropisch wirkenden Pflanzen gedeiht. Rätselhaft sind die historisierenden Tänze, die sich um die von Johnson gespielte Frauenfigur ranken. Zunächst eine Dreierformation (Yuri Shimaoka, Roman Ole, John Snyder) in jugendstilartigen Kostümen (Leila Hekmat), die an die tänzerische Moderne erinnern –mit ihren schattenfigurenhaften En-Profil-Bewegungen besonders an Nijinskys „L’Après-midi d’un Faune“. Wird diese Vergangenheit bewusst heraufbeschworen, um darauf aufbauend die Exotismen und Rassismen jener Zeit, die mit einer psychoanalytisch inspirierten Sexualsymbolik einhergingen, aufzunehmen?
Das wäre eine Erklärung dafür, warum die später auftretende, laszive Teufelsfigur in rotem Lack-Faltenrock, Matrosen-T-Shirt, weit schwingendem Fransenumhang und Sklavenhalsreif – entsprechend den Stereotypen vom gefährlich-geheimnisvollen Fremden – von einem schwarzen Tänzer getanzt wird. Da die Kostüme jedoch nicht wie pure historische Zitate wirken und keine distanzierenden Mittel wie Ironie oder Zynismus zum Einsatz kommen, bleibt es letztendlich unklar, warum Johnson auf diese Bilder setzt.
Eher assoziativ als analytisch entsteht ein symbolistisches Sexual-Einweihungsritual mit Referenzen aus der Tanz- und Kunstgeschichte wie Priester- und Nymphenfiguren, einer Bathseba beim Bade und eben jenem ambivalent besetzten Verführer. Eine Entwicklung gibt es in diesem Symboltheater nicht. Die Stimmen vom Anfang, die für ein Tagesbewusstsein zu stehen schienen, kehren nicht zurück, die Realität ist in einen Imaginationsraum aufgegangen. Wenn am Ende Sweet Emma Barretts New-Orleans-Jazz-Nummer „No, I ain’t gonna give nobody none of my jellyroll“ gespielt wird, bleibt sogar in der Schwebe, ob die Initiation überhaupt stattgefunden hat. Schließlich will die Sängerin im Song ihre Biskuitrolle (offenbar im afro-amerikanischen Slang für Vagina verwendet) nicht hergeben. Was es mit dieser emanzipatorischen Verweigerungshaltung auf sich hat, das wird anhand des üppigen Kostümreigens jedoch weniger klar als die Verweise, die sich zwischen Sexualbildsprache und künstlerischer Moderne auftun.