„Laundries in Hanoi“, Riki von Falken © Dieter Hartwig

Erinnerung, entfleckt

VIDEO

Mit „Laundries in Hanoi” in den Uferstudios reisen Riki von Falken und Nguyen Trinh Thi in ihre Vergangenheiten.

Ankündigungstexte sind vertrackt. Sie legen die erste Spur zur Rezeption einer Choreografie und können den entscheidenden Zugang bieten – sie können aber auch in die Irre führen. Beides ‚gelingt‘ der Programmnotiz zu „Laundries in Hanoi”, mit dem Riki von Falken und Nguyen Trinh Thi am vergangenen Donnerstag in den Uferstudios Premiere feierten.

Kennengelernt haben sich die beiden Künstlerinnen über das Goethe Institut – von Falken erkundete im Sommer 2015 Hanoi, Nguyen kam kurz darauf als DAAD-Stipendiatin nach Berlin. Der Vietnamkrieg, der ein Jahr nach Geburt der deutschen Choreografin Riki van Falken begann und ein Jahr nach Geburt der vietnamesischen Videokünstlerin Nguyen Trinh Thi endete, bildet eine Gemeinsamkeit in den Leben der Künstlerinnen. Während Kindheit und Jugend der einen flackerte er sonntagabendlich im Wohnzimmer über den Bildschirm. Die andere kam kurz nach den letzten US-Bombardements auf Hanoi zur Welt und bezieht sich in ihren Filmen und Installationen oft auf die traumatischen Folgen der Kriegsjahrzehnte. Ausgehend von dieser geteilten Historie, so der Ankündigungstext, schufen die beiden Künstlerinnen ihre Bühnenproduktion „Laundries in Hanoi” zum Thema Erinnern.

Fünf Leinwände über, hinter und neben der Bühnenfläche zeigen die filmischen Impressionen von Nguyen Trinh Thi: Alltagsszenen, vor allem aber immer wieder Wasser: ein dunkelgrüner, bewurzelter Fluss; ein in weiter Landschaft gelegener Steinpool mit türkisklarem Wasser. Die Unterschenkel einer Watenden, ein junges Mädchen bis zur Hüfte im Strom. Pulvrige Erden werden spiralförmig zu Schlamm verrührt. Mal schwappt lehmiges Wasser an ein Ufer, mal seifiges Nass an die Glasfront einer Waschmaschine. Panta rhei – ist das die Botschaft dieser poetischen Bildsprache? Alles fließt, und niemand steigt zweimal in denselben Fluss.

Subtil auf die projizierten Bilder Bezug nehmend, bewegt sich Riki von Falken im Bühnenraum unter den Leinwänden. In einer ersten choreografischen Sequenz scheint sie gestisch den (Erinnerungs-)Raum zu vermessen: Wie Pfeile gestreckte oder locker pendelnde Arme weisen in unterschiedliche, gleichwohl geometrisch präzise bemessene Richtungen. Sacht einen Fuß vor den anderen setzend, schreitet von Falken diagonal über die Bühne, hält inne und geht einen Teil der Strecke rückwärts, um im entspannten Ausfallschritt ihren Stand (ihre Gegenwart, Vergangenheit?) zu prüfen.
Komplexere, wiederholte Hand- und Armbewegungen in der folgenden Sequenz wirken wie tief ins (Körper-)Gedächtnis eingeprägte Abläufe: Hände beschreiben Bögen, gewinkelte Unterarme wischen parallel zum Boden hin und her, immer wieder recken sich die Arme in eine Raumdiagonale. Vielleicht sind Riki von Falkens gelöste Bewegungen auch Abstraktionen von Alltagsbewegungen? Kolben einer Maschine könnten ihre versetzt zueinander gedrehten Unterarme sein. Diese oder jene Handbewegung deutet vielleicht auf eine Maniküre, aufs Händeseifen oder Wäschefalten? Über von Falken werden Szenen aus den titelgebenden Wäschereien in Hanoi eingeblendet. Der Eindruck konkreter Vorgänge verdichtet sich, ohne eindeutig eingelöst zu werden.

Harmonisch und einlullend sanft ist der Strom der Bilder und Bewegungen. Kaum ein Akzent, der brüchig oder gar abrupt wirkt. Licht und Ton (Ralf Grüneberg) sind expressiver, setzen dem ruhigen Fließen dramaturgisch mehr Dynamik entgegen. Starkes Seiten- und Oberlicht formt skulpturale Eindrücke. Gleißend helle oder verschwommen flackernde Neonröhren auf einem fahrbaren Untersatz beleuchten das Geschehen von hier oder dort. Die Klangmontage aus Alltagsgeräuschen, Computersounds und Musik von Hervé Birolini, John Cage und Zoviet France wirkt mitunter disruptiv, ohne dass das auf Choreografie und Video zurückwirkt.
Aber der Krieg, von dem der Ankündigungstext sprach? Assoziationen an biographische Brüche, gar Traumata oder Gewalt liegen hier weitgehend fern oder scheinen künstlich herbeigeführt: In einer kurzen Toneinspielung kündet eine Mrs. Men von ihrer schweren Kindheit – Bomben, Überschwemmungen, Wasserschlangen auf dem Schulweg. Vielleicht haben Text und Stück an einer wesentlichen Stelle nichts gemein, und die Künstlerinnen versuchen mittels dieser Einspielung den Programmtext einzulösen? Kann ich die Videobilder mangels kulturellen Kontextwissens nicht interpretieren, oder ist mir Riki von Falkens gestische Übersetzung ihrer Fragestellung unverständlich geblieben? Möglicherweise hat sich auch der generelle Weichzeichner-Effekt von Vergangenem über „Laundries in Hanoi” gelegt, und die Waschmaschinen stehen für das Entflecken von Erinnerung – das Auslöschen, das laut Freuds Wunderblock-Metapher zum Gedächtnis ebenso gehört wie das Einprägen.