Das Staatsballett Berlin beschließt seine Saison mit Arbeiten von Gentian Doda, Marco Goecke und Nacho Duato, der sich mit diesem letzten Programm auch als Leiter des Balletts verabschiedet.
Dodas Arbeit „Was bleibt“, entstanden in Zusammenarbeit mit Tänzern
des Staatsballetts, eröffnet den Abend mit einer Präsentation ästhetisch
bemerkenswerter Schnappschüsse. Körper, in weiße Kostüme gehüllt, die
sich zusammenballen und wieder voneinander lösen, manchmal in langsamem
Gleichklang, dann wieder in über die Bühne verstreuten flirrenden Solos.
Das Bühnenbild, bestehend aus beweglichen sorgfältig beleuchteten
hängenden Seilen, ist schön, wird aber von den Tänzern, abgesehen von
ein paar späten Versuchen, wenig genutzt und erfüllt so nicht sein
interaktives Potenzial. Die Tänzer, obwohl klar und präzise in ihren
Bewegungen, sind nicht akrobatisch genug und verkörpern die Momente des
Kontakts und des Weight-Sharings nicht ganz so wie es das
zeitgenössische Vokabular und die Bodenarbeit erfordern. Es scheint als
würde hier die Kontrolle über die Hingabe siegen und verhindern, dass
Bewegungen ihren vollen Ausdruck finden. Die Beziehung der Tänzer zum
Boden ist steif – er ist ihnen eher harte Oberfläche auf der sie entlang
rutschen als Zuflucht, in die sie hinschmelzen.
Dodas Titel bezieht sich möglicherweise auf das was nach den Fakten
bleibt, aber trotz dieses Themas ist alles am Ende zu fragmentiert, zu
unverbunden. Weder gibt es ein Ereignis, das uns Nachwirkungen spüren
lässt, noch lassen sich die Fragmente so entziffern, dass wir die Leere
verstehen könnten, die sie zusammenhält. Wir bleiben zurück mit dem
Gefühl, das ehrgeizige, wenn auch nicht ganz stimmige Werk eines jungen
vielversprechenden Choreografen gesehen zu haben.
Goeckes Arbeit „Pierrot lunaire“ zeigt ein klar ausgeprägtes und entwickeltes Vokabular, mit den für ihn typischen steifen Körpern und flatternden Händen, unterbrochen von ausladenden Bewegungen zur Musik von Arnold Schönberg. Basierend auf einem Gedicht von Otto Erich Hartleben, Nachdichtung des französischen Originals von Albert Giraud, erzählt Goecke die Geschichte eines verliebten Clowns, der der Realität des Lebens verloren geht. Goecke schreibt, dass es ihn einigen Mut gekostet hat, die Herausforderung anzunehmen, neue Wege zu finden, die Geschichte von Pierrot zu erzählen – und damit den Vergleich mit Glen Tetleys Inszenierung von 1962 aufzunehmen. Der Lieder-Zyklus hat drei Hauptteile: Im ersten Teil geht Pierrot spazieren und seine Beziehung zum Mond wird dargelegt; im zweiten tritt die Heftigkeit des Alptraums auf den Plan und im dritten denkt Pierrot über den Einfluss des Mondes und seinen Platz in der Welt nach. Indem er einzelne Teile des Gedichts – das während des Stückes gesprochen wird – herausarbeitet, andere in Frage stellt oder auslässt, gelingt es Goecke ein bizarres Bild zu erzeugen, das einen in den Bann schlägt. Auch wenn es einige schöne Art Nouveau-Posen und Bögen zu sehen gibt, bleibt das körperliche Vokabular doch typisch Goecke und es ist die Beständigkeit und Klarheit dieses Vokabulars, die uns auf bereichernde und interessante Art mit und gegen Text und Musik führt. Mit weißen Ballons, intuitiv und symbolisch eingesetzt, kreiert Goecke ein minimalistisch-karges Bühnenbild, die Kostüme sind geschlechtsneutral. Gesicht und Körper des Pierrot sind weiß geschminkt, was ihn ein bisschen kränker, geisterhafter und entrückter erscheinen lässt als die anderen Tänzer. Goecke präsentiert eine gut durchdachte und gut gemachte, ausgesprochen seltsame deutsche Version dieser Geschichte von Verzauberung, Wahn und Eros.
„Por vos Muero“ („Für eure Toten“) von Nacho Duato, dem Künstlerischen Direktor des Staatsballetts, beschließt den Abend mit spanischer Musik aus dem 15ten und 16ten Jahrhundert, begleitet von einem durchgehend gesprochenen Text von Garcilaso de la Vega. Mit seinem Werk lädt Duato uns in eine historische Welt von Musik und Tanz ein, die erfrischender Weise nicht nur Elemente aus der christlichen Renaissance enthält, sondern auch solche aus arabischen, jüdischen und griechisch-römischen Kulturen, gesehen durch die Linse des zeitgenössischen Balletts. Es beginnt mit stromlinienförmigen eckigen Bewegungen zu Barockmusik, dann sorgt eine Veränderung der Bühne für einen Wechsel in „historische“ Kostüme und eine Veränderung des choreografischen Stils. Weder Tanz noch Kostüme sind wirklich historisch, aber darum geht es hier auch nicht. Vielmehr liefert uns Duato eine Art historische Phantasie, indem er sich die Freiheit nimmt, zu großartiger mitreißender Musik Motive nach Belieben zu vermischen, was sich ein bisschen so anfühlt wie in einem phantastischen alten Buch zu blättern. Ein ausgesprochen vergnügliches Werk, in dem wir die Tänzer wirbeln, kreiseln und flirten sehen – über alles Notwendige hinaus, aber mit großer Freude und Virtuosität.
Als Zuschauer hätte man sich eine Einbeziehung der gesprochenen Texte von Goecke und Duato gewünscht – ganz zu schweigen davon, dass bei einem weiteren abendfüllenden Programm von ausschließlich männlichen Choreografen das Problem der Gender Inklusion weiterhin ungelöst bleibt. Dennoch, das Staatsballett präsentiert einen Abend mit schönen ausgereiften Arbeiten – und vielleicht kommt ja mit der Übernahme der Leitung durch Sasha Waltz und Johannes Öhmann die Zeit, in der die Institution ihren Horizont erweitert und der einzigartigen Diversität und dem Reichtum an Talent der Stadt Rechnung trägt, die sie repräsentiert.
Deutsche Übersetzung von Bettina Homann