„The Twofold Paradox“, Ixchel Mendoza Hernández, Diethild Meier, Sara Pons, Hyoung-Min Kim,Gabriel Galindez Cruz ©Zé

In Rampenlichtern

Die Tanzfabrik-Reihe OPEN SPACES versammelt drei Duette, die sich in virtuos gestalteter Beleuchtung sehen lassen können.

Dreimal an diesem Abend fährt eine Feuerwehr vorbei. Das Aufheulen der Sirene unterbricht das Geschehen auf der Bühne ausgerechnet im immer absolut passenden Moment – als alarmierende Vorahnung, als ironische Distanzierung oder als Teil der Soundkollage. Hundebellen und noch mehr Unerhörtes zwischen den Zeilen. Alle drei Arbeiten operieren mit choreografischen Tasks – Versuchsanordnungen, die alle(s) im richtigen Licht erscheinen lassen: Zwei Frauen an einem Tisch, und die Zeit bleibt stehen (Diethild Meier und Sara Pons: „OPEN END“) / zwei Tänzer*innen unsichtbar im Angesicht eines Baustrahlers (Hyoung-Min Kim & Gabriel Galindez Cruz: „I AM NOT ON THE BLACKLIST“) / zwei Gestrandete in Paralleluniversen (Ixchel Mendoza Hernández & Enrico Ticconi: „THE TWOFOLD PARADOX“).

Anachronistische Tischgesellschaft
„Time to Meet“ ist ein Format der Tanzfabrik, das Einblicke in künstlerische Prozesse bietet und Unfertiges oder noch Offenes in progress mit den Zuschauer*innen teilt. Diethild Meier hat dafür mit wenigen Mitteln gleich einen ganzen epischen Raum errichtet, der aus der Zeit gefallen scheint: Sie und die Tänzerin Sara Pons werden sich über die Dauer dieses 45-minütigen Duetts an einem Tisch gegenübersitzen, Wassergläser einschenken, einander zuprosten, von den Stühlen kippen und die Fassung nicht verlieren. Es ist alles arrangiert: in festgelegten Raumwegen wird ein Teppich auf die Bühne getragen und platziert – vor Betreten Füße abstreifen – hier, innerhalb dieses abgeschlossenen Systems, bricht eine andere Zeitlichkeit an. Davongetragen vom rhythmischen Soundteppich (Schlagzeug: Aaron Snyder) und eingehüllt in Licht-Skulpturen (Emese Csornai) führen sie die losen Enden der Geschichte einer Begegnung vor. Über die Dauer dieser scheinbar einfachen Ausgangslage überkreuzen sich die Bedeutungsebenen, die Bewegungen der Zwei verlangsamen sich, die Zeit wird ausgesetzt, gedehnt, gerafft, überwunden. Immer dasselbe: Platz nehmen, einschenken, zuprosten, aufstehen, älter werden, wiederkommen, verlassen werden. Die Gläser laufen über, die Körper verharren liegend auf den Stühlen, ihre Köpfe nach hinten abgeknickt, Arme und Beine von sich gestreckt und… Pause. Mehlstaub fällt von oben auf sie herab, und wir wissen, dass sie schon immer dort gesessen haben werden… “OPEN END“.

Körper im Visier
Die zwei Tänzer*innen Hyoung-Min Kim und Gabriel Galindez Cruz erproben zunächst eine einfache wie absurd-komische Spielanweisung. Erstens: einen Bewegungsmelder überlisten. Zweitens: einfach immer weiter machen. Die Schatten ihrer Körper wandeln über die grellgrün beleuchtete Rückwand, während sie selbst noch im Halbdunkeln auf die Lichtquelle zugehen… mit Bedacht, mit Euphorie, unter Einsatz von Magie und Willenskraft, mit betonter Beiläufigkeit und auf anderen Wegen versuchen sie sich möglichst nahe unbemerkt an das Gerät heran zu wagen… bis sie doch geblendet werden. All diese Wege zum „Bewegungsmelder“ (von dem wir natürlich wissen, dass es nur ein Baustrahler ist, der live von der Technik angesteuert wird), müssen schließlich scheitern.

Und doch berührt ihr „so tun als ob“ weitreichende Fragen: Kann man sich überhaupt noch irgendwo verstecken? Wie bewegen wir uns im unfreiwilligen Rampenlicht? Aus dem anfänglichen Spiel entwickeln sich weitere tänzerische Strategien, auf der Bühne der ungeteilten Aufmerksamkeit zu bestehen. Der Scheinwerfer: Kompliment und Waffe zugleich. Ihre persönlichen Erfahrungen mit staatlichen Überwachungsorganen und Zensur haben die zwei Tänzerinnen in diesem Stück (unzensiert?) verwoben: Gabriel Galindez Cruz ruft die Namen ermordeter politischer Aktivistinnen in Kolumbien auf, während Hyoung-Min Kim den Baustrahler wie zur Verfolgung auf ihn richtet und ihn zugleich durch den Raum scheucht: „Move in the frame!“ Wie durchkommen? Immer wieder entscheiden sie sich für und gegen die (Selbst)-Zensur und scheuen sich dabei nicht, ins Komische zu rutschen. Zuweilen kommen sie ins Zweifeln: „Mehr oder weniger Pathos?“ Neben der politischen und konzeptuellen Ebene fällt bei all dem vor allem ins Auge, wie wandelbar diese zwei unkonventionellen Tänzer*innen sein können: ihre Bewegungsqualitäten entziehen sich beständig einer eindeutigen Färbung – weichen einander und sich selbst immer wieder aus, finden immer neue Wege, Licht und Schatten auf sich selbst zu werfen – bis sie in ein gemeinsames Bellen einstimmen und der Raum sich verdunkelt…Unsichtbarkeit als Überlebensstrategie: „I AM NOT ON THE BLACKLIST“.

Alles an seinem Platz und woanders
In „The Twofold Paradox“ hat Ixchel Mendoza Hernández zwei identische Räume gebaut, von denen aus sich eine Choreografie des Impliziten entwickelt. Sie und Enrico Ticconi – Figuren A und B – gehen scheinbar alltäglichen Handlungen nach – sie sitzen auf ihren Sesseln, rücken die Zimmerpflanze zurecht oder schauen in den Spiegel. Dass sie darin zunächst komplett synchron und dann unabhängig voneinander agieren, sich ihre Wege kreuzen und in Endlosschleifen der Assoziationsketten enden, wird von einer allwissenden Erzählerstimme kommentiert und vorausgesagt. Das gesamte Arrangement zitiert Strategien des Thrillers oder Krimis – musikalisch wird mit mysteriöser Stimmung aufgefahren (Sound-Design: Malu Peeters), während das Licht hier fast zur dritten Performer*in avanciert (Licht-Design: Eva G. Alonso). Eine unmögliche Geschichte entspinnt sich – dekonstruiert beständig die Kausalität, die sie mit allen Mitteln behauptet. Auch „The Twofold Paradox“ ist insofern ein munteres Spiel mit dem „Als-ob“ des Theaterraumes. Obwohl die Illusion nichts dafür tut, sich zu verbergen, funktioniert sie trotzdem. Extrem schnelle Lichtwechsel lassen das Ganze fast wie einen Film vorbeiziehen – obwohl einiges vor sich geht, bleibt alles im Vagen, zeitlich fragmentiert (irgendwann wurden Tabletten eingeworfen, irgendwer liegt am Boden, draußen wird es dunkel, hier fährt die Feuerwehr). Zurück bleibt eine vage Erinnerung an das, was vor sich gegangen sein könnte. Vor allem: aufwendig gestaltete Zweideutigkeit: „THE TWOFOLD PARADOX“.