„Cassures Sublimées“, Yuko Kaseki ©Morvarid K

Wenn Träume Risse bekommen

Morvarid K, Yuko Kaseki und Sherwood Chen präsentieren mit „Cassures Sublimées“ im Acker Stadt Palast ein transdisziplinäres Hybrid aus Butoh, Fotografie, Performance-Installation und zeitgenössischem Tanz.

Ode an die Unvollkommenheit

„Cassures Sublimées“ beginnt als eine Art Fotografie-Ausstellung, aber mit klassischer Theater-Raumaufteilung in Bühne und Tribüne: Eine auf Papier gedruckte Fotografie nach der anderen schwebt langsam und still durch den Bühnenraum, auf leisen Sohlen getragen von den Performer*innen Yuko Kaseki und Sherwood Chen. Es sind Fotografien mit recht unscheinbaren Motiven (Katzen, die auf Mauern sitzen, Meereswellen), die vor Jahren einmal ausgestellt wurden und die danach niemanden mehr interessierten, die förmlich verschwunden sind und jetzt nochmal in das Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt werden.

Dazu ertönt die weiche Stimme von Morvarid K, in der ersten Reihe sitzend und zu den Fotografien sprechend: You do not exist. They told me you are not good enough. But I still love you. Es ist, als ob diesen Fotografien mal das Recht abgesprochen wurde zu existieren und sie nun auf dieser Bühne wiedergeboren werden, zu ihrer gebührenden Anerkennung kommen, auch wenn sie nicht perfekt sind und ihre Träume unerwartet kleine Risse bekamen. Große Themen wie Vergänglichkeit und Flüchtigkeit stehen im Raum. Eine leise Ode an das Unvollkommene. You are beautiful. You are poetic. Beauty is not enough. Where is the twist?

Hingabe und Ausdruck

Yuko Kaseki zerknüllt eine der Fotografien mit schmerzhaft verzogenem Gesicht. Eine theatrale Geste, die plötzlich einen Ästhetikwechsel zwischen fotografischer Installation und Tanztheater andeutet.

Wenn Kaseki und Chen sich anschließend durch den Raum bewegen, ist es, als wohnten sie in fremden Körpern. Die Köpfe hängen, die Extremitäten bewegen sich marionettenartig, wie ferngesteuert, wie animierte Figuren die durch eine entrückte Cyberlandschaft wandeln. Morbide Bilder tun sich auf: Irre Blicke und entgleiste Gesichter führen zwischendurch ins Groteske, verzerrte Fratzen, zusammengekniffene Augen und krampfartig verschraubte Körper erinnern an Comicfiguren, die ihre Körper gummiartig in die Länge ziehen, verschnörkeln und zusammenstauchen können. Von Zeit zu Zeit werden die teils abstrakten Bewegungen dann wieder von theatralen Gesten abgelöst, die Hand fasst an die eigene Gurgel, das Gesicht schmerzverzerrt, der Körper schüttelt sich und fällt schließlich zu Boden. 

Was viele nicht wissen: Yuko Kaseki ist eine bekannte Butoh-Größe, deren Arbeiten international touren. In Berlin lebt und arbeitet sie seit 1991(!); Performances entwickelt sie abseits der Förderlandschaft und präsentiert diese in kleinen Projekträumen oder Off-Bühnen. Ich muss zugeben, dass sich die Butoh-nahe Ästhetik den mir vertrauten Lesarten manchmal entzieht. Was dabei außergewöhnlich ist, ist die Haltung der beiden Performer*innen. Mit aller Ernsthaftigkeit, absoluter Präsenz und Hingabe an Bewegung und Ausdruck scheint sie eine besondere Aura zu umgeben. Die Abkehr von Ironie, das nicht-cool-Sein, die aufrichtige Haltung der Performenden weckt Sympathie in mir, und doch bleibt etwas Rätselhaftes, nicht Lesbares zurück.

In der Zeit-Schlaufe gefangen

Es folgen teils ausufernde Längen, die sich wahrscheinlich auch durch die Genre-Mischung herstellen: Eine performative Installation besitzt eine andere Zeitlichkeit als ein Theaterstück.

Nicht enden wollende Improvisationen mit Papier im komplett stillen Raum stellen die Zuschauenden auf die Probe: Ein langes Stück Papier mit gekrümmten Oberkörper hinter sich herschleifen, Papier zerreißen, mit Papierstücken am Boden wischen, Papier vom Boden aufsammeln… Die Handlungen der Performer*innen mit diesem Material sind so konkret wie banal, die Bewegungen alltäglich, die Haltung nicht klar gerichtet – die Zeit scheint zu zerfließen. Zwischendurch blitzen dann doch spannende Bilder auf, wenn Kaseki und Chen hintereinander stehen und mit großen Papierknüllen umherfuchteln, ineinanderfallen und grimassenartige Gesichter aus dem Papier zum Vorschein kommen – ein Papierungetüm mit zwei Köpfen, vier Armen und vier Beinen.

Die letzte halbe Stunde ist eine Abfolge ewiger Wiederholung: Chen absolviert ohne Unterlass und in zermürbend langer Dauer hohe Sprünge auf der Stelle, die auf den zu Beginn präsentierten Fotografien landen. Zeitlich positioniert sich das Ganze zwischen Performance Art und Ausstellungsraum; Problem ist nur, dass wir uns in einem Theaterraum befinden. Insofern hätte dieser durchaus interessanten Arbeit ein zeitlich ordnender, dramaturgischer Blick von außen vielleicht gutgetan.