In den Sophiensælen wird vom 25. bis 28. November 2021 das Projekt „Living Room” von Public in Private/Clémentine M. Songe (aka Clément Layes) gezeigt. Die Zusammenarbeit von Songe/Layes mit der Künstlerin Jasna L. Vinovrški, der Architektin Morana Mažuran, der Lichtdesignerin Ruth Waldeyer und dem bildenden Künstler Jonas Maria Droste resultiert in einer akrobatischen Aufführung, in der die Grenzen zwischen Körpern, Gegenständen, Animation und Bewegung verschwimmen.
Die Bühne ist eine rechteckige, weiße Plattform, die das Interieur eines bürgerlichen Wohnzimmer darstellt. Es ist mit einem blauen Sofa, einem kleinen Tisch, einem Hocker, zwei Pflanzen, einem Kissen, ein paar Hausschuhen und einer Lampe ausgestattet. Nach einem Geräusch, das assoziativ ein Bild von Regen und Wasser hervorruft, betritt ein Performer (Clémentine M. Songe/Clément Layes) die Bühne. Er zieht seine Schuhe aus und schüttelt Sand aus dem Inneren der Schuhe. Danach macht er es sich bequem, er setzt sich auf das Sofa, öffnet einen weißen Laptop und scheint etwas zu tippen. Kurz davor hat er seine Jacke auf einem Seil abgelegt, welches später in der Luft schweben wird. Nachdem er erfolglos versucht hat, sich lesend in ein Buch zu vertiefen, wirft er das Buch weg. Gleichzeitig fällt ein Buch von oben auf ihn herab. Dieser Vorgang wird sich wiederholen, sobald er Bücher ablegen wird. Er gießt Wasser in ein Glas, aber egal wieviel Flüssigkeit er einschenkt, das Glas füllt sich nicht. Dieses komische Ereignis, das an Zaubertricks und Zirkus erinnert, löst im Publikum lautes Lachen aus.
Layes versucht erneut zu lesen, wird diesmal aber von einer Glühbirne abgelenkt, die, ähnlich wie die Jacke, im Raum schwebt. Langsam fängt man an zu bemerken, dass sich nicht nur die Jacke und die Glühbirne bewegen, sondern auch der Hocker, der Eimer, die Pflanzen, der Tisch, die Leiter. Auf diese Weise werden der gesamte Bühnenraum durch Fernsteuerung animiert und die Objekte auf Drehscheiben rotiert, was letztendlich dazu führt, dass das Prinzip der Unruhe und permanenten Bewegung den Rhythmus und die Dramaturgie (Jonas Rutgeerts) der Aufführung bestimmen. Damit kommt ein wesentlicher Kontrast zum Vorschein. Auf der einen Seite der aussichtslose Versuch des Performers, Bewegungen zu reduzieren, um konzentriert Lesen zu können, anderseits eine telekinetische Choreografie der Objekte mit ihrer ziellosen und absurden Ruhelosigkeit.
Im weiterem Verlauf der Aufführung werden zusätzlich zwei Objekte aktiviert, die sich nicht auf der Plattform befinden, sondern vor und hinter dieser Bühne platziert sind. Ein ebenso lustiger und absurder szenischer Vorgang ist das Zusammenfegen von Konfettis, die von einem Ventilator zerstreut werden. Obwohl er alles tut, um Ordnung, Stille und Ruhe herzustellen, scheint der Performer ständig daran zu scheitern. Stattdessen wird er vom chaotischen Eigenleben der Objekte bewegt, wodurch der Eindruck entsteht, der Körper choreografiert nicht die Gegenstände, sondern ihre Kinetik choreografiert und unterwirft ihn einem Rhythmus, auf den er keinen Einfluss hat. Für die Zuschauer*innen ereignet sich die Aufführung in der Form eines dynamischen Tableau Vivants, auf das man den voyeuristischen Blick richtet. Wie im Pressetext zu lesen ist, erforscht „Living Room” folgendes: „Was wäre, wenn die Möbel, die unser Wohnzimmer bevölkern, ihrer festen Rollen und Aufgaben überdrüssig wären und beschließen würden, auszubrechen? Sich zu bewegen, zu springen, sich zu verwandeln, sich selbst zu demontieren oder sich mit anderen Geräten zusammenzuschließen?“
Das permanente Scheitern, sich im Wohnzimmers zurechtzufinden und einen festen Platz in der eigenen Privatsphäre zu finden, weil der Boden sich dreht und hebt, strukturiert die Aufführung als eine poetisch-luzide Reflexion über die pausenlose Zirkulation von Bildern, Waren und Sinneseindrücken. Die Unmöglichkeit, eine Schutzzone zu etablieren, resultiert in szenischen Situationen, die lustig sind und dennoch die rastlose und beschleunigte Gegenwart in ihrer Unheimlichkeit aufdecken. Was gleichzeitig suggeriert wird, ist die Orientierungslosigkeit im eigenen Zuhause, das immer mehr mit billigen Mobiliar vollgestopft wird. Somit vermittelt „Living Room“ den Eindruck einer vollkommen verdinglichten Welt. In dieser Konstellation scheint der Mensch zur Marionette geworden zu sein. Eine mechanische Puppe, die von unsichtbaren Kräften regiert wird und im pausenlosen Kreisen ohne Ziel und Sinn gefangen ist.
„Living Room“ von Public in Private/Clémentine M. Songe (aka Clément Layes) ist noch am heutigen Sonntag, 28. November 2021 um 16.00 Uhr im Festsaal der Sophiensaele zu sehen, Tickets unter sophiensaele.de. Vom 9. Dezember 2021 bis 20. Januar 2022 ist LIVING ROOM außerdem als Rauminstallation im Ausstellungsraum des Berliner Architekturbüros O&O Baukunst zu sehen: O&O Depot, Leibnizstraße 60, 10629 Berlin.