Unter dem Titel „Down to Earth: Klima, Kunst, Diskurs unplugged“ fokussiert die Ausstellung im Gropius Bau vom 13. August bis 13. September 2020 Ökologie und Nachhaltigkeit. Sie ist Teil der Programmreihe Immersion, deren Ziel es ist, mit neuen Formaten des Schauens und Präsentierens zu experimentieren, und die Dichotomie zwischen betrachtendem Subjekt und betrachtetem Objekt aufzulösen. Dieses Mal sind neben experimentellen Formen der zeitgenössischen Kunst auch indigene Kulturen und neue Praktiken der Nachhaltigkeit und der ganzheitlichen Erfahrung zu erleben.
„Down to Earth: Klima, Kunst, Diskurs unplugged“ ist der sechste und zugleich letzte Teil der seit 2016 von den Berliner Festspielen präsentierten Programmreihe Immersion. Auf Initiative von Intendant Thomas Oberender hat ein Kuratoren*innen-Team (Julia Badaljan, Thomas Oberender, Anja Predeick, Tino Sehgal, Jeroen Versteele), inspiriert von Philosoph Bruno Latours Buch „Down to Earth”, eine Vielzahl von Experten*innen und Künstler*innen eingeladen, um über Ökologie und Nachhaltigkeit in unserem Alltag zu diskutieren, und auch zu agieren. Fern, aber so nah, ist uns unser CO2-Fußabdruck oft fremd, und wird in den Bereich der Politik verwiesen. Die Beiträge sind deswegen eine Aufforderung zum individuellen Handeln. Sie sind nicht nur ein Aufruf, sondern zeigen auch eine politische Haltung, da die ganze Ausstellung möglichst klimaneutral umgesetzt ist. Ziel der Immersionen-Reihe ist das Experimentieren mit neuen Formaten des Schauens und Präsentierens, um die Dichotomie des betrachtenden Subjekts und des betrachteten Objekts aufzulösen. Eintauchen soll man in etwas Neues und Unbekanntes: für dieses Mal sind neben experimentellen Formen der zeitgenössischen Kunst mit täglich wechselnden Live-Angeboten und Vorträgen – unter anderem von Latour und Frédérique Aït-Touati – auch verschiedene indigene schamanistische Kulturen sowie neue Praktiken der Nachhaltigkeit und der ganzheitlichen Erfahrung zu erleben.
Die Atmosphäre im Gropius Bau ist anders als sonst, familiärer, und wechselt von Stunde zu Stunde mit der Vielfalt der Beiträge. Sie erinnert an die eines Salons – der unter den Covid- Maßnahmen mit Masken, Abstand und zeitlicher Kontingentierung (Einlass innerhalb eines bestimmten Zeitfensters) stattfindet. Man bemerkt eine gewisse Gruppendynamik, da sich die Künstler*innen und Experten*innen oft gegenseitig in den jeweiligen Räumen besuchen.
An den zwei Tagen, die ich den Gropius Bau in der vergangenen Woche besucht habe, waren unter den Performing Arts-Gästen, die sich im Aufführungsraum abgewechselt haben, auch François Chaignaud und Marie-Pierre Brébant mit ihren „Felices Radices“, aufbauend auf Hildegard von Bingens musikalischem Werk. Im Halbkreis tauchen wir in eine Art meditativer Opera ein, begleitet von Chaignauds Stimme und Brébants Bandura, und fasziniert von ihren mit dreieckigen Spiegeln bedeckten Oberkörpern. Farbige Gardinen vor den Fenstern ersetzen die Scheinwerfer, um die choreografierten Szenen der verschiedenen Lieder zu strukturieren. Für Claire Vivianne Sobottkes „Velvet“ und „L’animale“ war der Raum mit einem Erdkreis, Bäumen, Gebüsch und Gras bedeckt. Zwei Trommeln scheinen Sobottke aufzurufen, und sie wirft sich schwerfällig und unbeholfen in die Mitte, begleitet von Trombone, Horn und Spinett. Es folgen heftige Bilder von Gewalt gegen den weiblichen Körper, die zu einer ‘Gegen’-Ekstase oder negativen Transfiguration führen. Sturz auf Sturz folgen die Echos von Pina Bauschs „Frühlingsopfer” (1975) zu Mary Wigmans „Hexentanz“ (1926) bis zu dem Weiß der gerollten Augen und den flatternden Zungen der Butoh-Gespenster. Schicht für Schicht verliert sie ihre Kleider, und Sobottkes Körper ist zunehmend mit Erde beschmiert. Sie ist zum Tier geworden, leckt sich und spielt mit ihrem Schwanz, bis sie uns durch gutturale Laute zum Spielen auffordert: wir müssen ihr Äste oder Gegenstände zuwerfen. Ich musste nachdenken: wer war das Tier, sie oder wir? Gleichzeitig haben Jared Gradinger und Angela Schubot im Hintergarten am Ritual „The Opposite of a Shadowland“ um die Re-Naturierung des öffentlichen Bodens teilgenommen. Auf den Knien, Kauderwelsch singend und pfeifend, haben sie eine vernachlässigte Wiese wieder gesät und sind fast Teil davon geworden. Diese idyllische Szene bildet einen starken Kontrast zum rauen und dürren weißen Kies der Topographie des Terrors im Hintergrund.
Fotos: François Chaignaud und Marie-Pierre Brébant „Felices Radices“ (oberes Bild), Claire Vivianne Sobottke „Velvet“ (unteres Bild) ©Eike Walkenhorst
Ursprünglich wollte ich die Ausstellung als Gelegenheit nutzen, um über Performance Art und den performativen Körper in der musealen Situation zu schreiben. Das ist mir für diese Ausstellung nicht möglich. Sie stellt einen besonderen Körper und eine Art des Daseins in den Vordergrund, die ich in diesem Kontext noch nicht kannte. Dies ist kein ‘ego-zentrischer’, für alle anzuschauender, ausgestellter Körper, sondern er ist als Fragment von etwas Größerem zu sehen, als Teil der Natur, als Teil von Gaia (Latour). Er verschwindet. Er ist dezentralisiert.
„Down to Earth“ ist eine bunte Mischung von ausgestellten Werken, Vorlesungen, Workshops, Vorstellungen und noch mehr (ich habe gerade geschaut, ob ich meinen Wasserkocher, der kürzlich sein Leben aufgeben hat, noch schnell im Popup Repair Café reparieren lassen kann). Die Ausstellung ist informativ, poetisch und gleichzeitig leicht skurril. Die Hauptsache ist: sie bringt uns zum Umdenken, sodass wir unsere Leben mit manchmal auch nur banalen Eingriffen umgestalten, um einen geringeren CO2-Fußabdruck zu hinterlassen. „Down to Earth“ kann man noch bis zum 13. September im Gropius Bau besuchen. An diesem Tag ist auch „Signs of Affection“ von Meg Stuart / Damaged Goods zweimal zu sehen.
Das Gesamtprogramm von „Down to Earth“ im Gropius Bau (13. August bis 13. September 2020) finden Sie hier.
Über die Programmreihe Immersion und zum Berliner Festspiele Blog Immersion.